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Archiv-Artikel

Der Flüchtling als Feind

Heftige Kritik vom Bündnis „Einspruch!“: Ausländerbehörde demütige Flüchtlinge und verstoße gegen deren Rechte. Helfer fordern Stopp „nächtlicher Rollkommandos“. SPD und GAL stellen Abschiebeärzte zur Disposition, die sie einst selbst einführten

„Um Abschiebezahlen in die Höhe zu treiben, werden fachärztliche Atteste ignoriert“

Von EVA WEIKERT

Nafissa Alam sucht nach Antworten. Die 22-jährige Afghanin ist an diesem Mittwochabend in die Diakonie gekommen, wohin das Bündnis „Einspruch!“ zur Frage „Menschenrechte – ein Fremdwort in der Hamburger Flüchtlingspolitik?“ Politiker und Helfer eingeladen hat. Nafissa musste am Vortag erleben, wie ihre Eltern von Beamten des Landeskriminalamtes unangekündigt um sechs Uhr morgens aus der Stadt geschafft wurden, „barfuß und ohne Gepäck“. Heute hört die Schülerin von den Podiumsgästen, dass solche Rollkomandos gang und gäbe sind. „Diese Stadt ist von einem politischen Geist geprägt“, beklagt Dirk Hauer (Regenbogen), „der den Flüchtling als Feind sieht.“ Lauter Applaus von den rund 50 Zuhörern gibt ihm Recht.

Neben Hauer sitzen Antje Möller (GAL), Aydan Özuguz (SPD) und Patricia Martinez Tonn (FDP) auf dem Podium, um Stellung zu nehmen zur Kritik von „Einspruch!“, einem Bündnis aus 35 Organisationen gegen die Hamburger Flüchtlingspolitik. Nur die Vertreterin der regierenden CDU hat kurzfristig abgesagt. „Da haben wir ja gar keinen Gegenpart“, ärgert sich zunächst Moderator Burkhard Plemper – grundlos, wie sich schnell zeigt.

Als zunächst Christiane Tursi vom Arbeitskreis Asyl über die „Demütigungen“ im Zentralen Erstaufnahmelager berichtet und fordert, das Flüchtlingsschiff in Neumühlen wieder der Verantwortung der Sozialbehörde zu unterstellen, wird sie enttäuscht. Unbeeindruckt zeigt sich SPD-Vertreterin Özuguz gegenüber der Kritik, durch Zuständigkeit der Innenbehörde würden Flüchtlinge „nur als ordnungspolitisches Problem definiert und unter Generalverdacht gestellt“. Tursi beklagt zudem, „die Ausländerbehörde kenne auf dem Schiff keine rechtlichen Schranken“. Das Filzen der Schlafräume ohne richterlichen Beschluss sei an der Tagesordnung. Anders als GAL und Regenbogen wolle die SPD das Lager dem Innenressort lassen, so Özuguz. „Aber die Drangsalierungen müssen aufhören.“

Kein gutes Haar an der Ausländerbehörde lässt auch Conny Gunßer vom Flüchtlingsrat. Die Behörde habe die von Innensenator Dirk Nockemann (Offensive) gefeierte Steigerung von Abschiebungen in 2003 „nur durch Methoden erreicht, die gegen fundamentale Menschenrechte und gegen geltende Gesetze verstoßen“. Als Beispiele nennt Gunßer willkürliche Festnahmen in der Ausländerbehörde und überfallartige nächtliche Abschiebungen. „Die nächtlichen Rollkomandos müssen aufhören“, fordert die Helferin. Mit Verweis auf den Fall Alam fügt sie hinzu: „Morgens um sechs kann man keinen Rechtsbeistand rufen.“

„Die Ausländerbehörde kennt auf dem Flüchtlingsschiff keine rechtlichen Schranken“

Nafissas Eltern wurden nach Chemnitz ausgewiesen, weil die Asylbewerber dort nach ihrer Flucht aus Afghanistan erstmals deutsche Behörden kontaktierten. Die zwei Söhne leben mit deutschem Pass in Hamburg. Durch die Umsiedlung drohe die Familie zu zerbrechen, sorgt sich Nafissa. Zudem sei ihr Vater durch Folter in afghanischen Gefängnissen schwer traumatisiert. Zwei ärztliche Atteste, die der taz vorliegen, sprechen dem Patienten darum die Reisefähigkeit ab.

GALierin Möller moniert denn auch am Mittwochabend, „es ist schlimm, dass Traumatisierte in der Behördenpraxis nicht als reiseunfähig gelten“. Burkhard Werner von der Beratungsstelle Café Exil empört sich, die Ausländerbehörde ignoriere „in brutaler Weise regelhaft fachärztliche Atteste“, um die Abschiebezahlen in die Höhe zu treiben. Weil diesem Ziel auch der ärztliche Dienst in der Ausländerbehörde diene, müsse dieser abgeschafft werden. Das sieht die GAL inzwischen genauso, dabei waren die Behörden-Ärzte unter Rot-Grün eingeführt worden. Özuguz räumte für die SPD ein: „Der Dienst bleibt, aber ein Amtsarzt muss das letzte Wort haben.“

Nafissa darf in Hamburg noch ihren Realschulabschluss machen. Zugleich zieht es sie wegen der Krankheit ihres Vaters innerlich schon nach Chemnitz. „Familientrennungen“, so verspricht Özuguz, „wird es mit der SPD nicht geben.“ Da geht ein Aufschrei durch das Publikum und eine Frau sagt: „Familientrennungen hat sich doch schon die SPD ausgedacht, um Abschiebungen zu beflügeln.“