: Minztee zur Begrüßung
Das prachtvoll ausgestattete Hotel Riad Dar Ziryab im marokkanischen Fès bietet orientalischen Luxus. Der Besitzer Jalil El Hayar will jedoch nicht nur verwöhnen, sondern auch die Stadt erklären
von RASSO KNOLLER
Einladend sieht es nicht gerade aus, wenn man sich dem Riad Dar Ziryab in Fès nähert. Hohe Mauern verwehren den Blick. Doch die sind nur scheinbar abweisend, denn am Tor wird man mit einem freundlichen „Willkommen“ begrüßt. Es ist schon überraschend, wenn man mitten in Marokko in nahezu akzentfreiem Deutsch empfangen wird. Jalil El Hayar, der Besitzer des Riads – einer Art Privathotel –, verwundert seine Besucher aber nicht nur mit seinen Fremdsprachenkenntnissen, er erweist sich auch als perfekter Gastgeber. Noch bevor ich mein Zimmer gesehen habe, weiß ich schon, dass sich der Besuch in seinem Haus gelohnt hat, denn der heiße Minztee, der in Marokko überall zur Begrüßung serviert wird, ist bei Jalil nicht nur ein Durstlöscher, sondern der Wegbegleiter während eines langen Gesprächs über marokkanische Kultur. Dass man nach der langen Anreise möglichst rasch auf sein Zimmer wollte, ist rasch vergessen.
Seit mehr als 20 Jahren führt Jalil Touristen durch seine Heimatstadt und zeigt ihnen dabei nicht nur die großen Sehenswürdigkeiten, sondern ermöglicht ihnen auch einen Blick hinter die Kulissen.
Am nächsten Tag werde auch ich mit ihm in den engen Gassen der Altstadt von Fès – der Medina – unterwegs sein. Einer Altstadt, die seit 1981 auf der Liste Unesco als Weltkulturerbe der Menschheit steht. Jalil wird zur zweitgrößten Moschee des Landes und der alten Universität führen. Er wird mir Gebäude zeigen, die von außen zwar unscheinbar aussehen, aber doch eine interessante Geschichte zu erzählen haben, und mich Menschen vorstellen, deren Geschichte und Geschichten noch interessanter sind als die der Häuser, in denen sie leben.
Jalil ist in Fès überall bekannt, und das öffnet Türen, die sonst verschlossen blieben. In einer kleinen, unscheinbaren Apotheke erfahre ich mehr über die Heilkräuter Marokkos, weiß bald, mit welchem Kraut ich Motten vertreiben, mit welchem Husten lindern und mit welchem meine Manneskraft steigern kann. Alles erklärt und ausgeschmückt mit blumigen Anekdoten von einem 13-jährigen Verkäufer – in perfektem Englisch.
Überhaupt scheinen die Marokkaner wahre Sprachgenies zu sein – zumindest wenn sie etwas zu verkaufen haben. Wie der Teppichhändler beispielsweise, der früher in Deutschland gearbeitet hat und die Sprache seines ehemaligen Gastlandes immer noch ausgezeichnet spricht. Trotzdem: Einen Teppich kann ich nicht brauchen, und das, obwohl er mir zu einem angeblichen Sonderpreis angeboten wird.
Ganz so perfekt sind die Deutschkenntnisse des Teppichhändlers denn doch nicht, denn was das deutsche Wort „nein“ bedeutet, scheint er nicht zu wissen. Irgendwann liegen alle Teppiche ausgerollt am Boden und mein Glas Minztee, das zu jedem (Verkaufs-)Gespräch gehört, ist leer. Doch als Jalil zum Abmarsch drängt, folgen uns keine Flüche, sondern nur die besten Wünsche hinterher.
Jeder marokkanische Souk und besonders der von Fès ist ein Einkaufsparadies. Mit Kamelknochen eingerahmte Spiegel, reich verzierter Silberschmuck, wild geschwungene Dolche, Teekannen, Umhänge, Decken oder eben ein Fez, der schwarze Filzhut mit der charakteristischen Quaste, der nach der Stadt benannt ist.
Noch bekannter als für diese Kopfbedeckung ist Fès aber für seine Lederherstellung. Überall kann man die typischen Pantoffeln, die Babouches, kaufen. Früher gab es sie nur in gelbem mit Safran gefärbtem Leder. Heute aber sind sie in allen Farben zu bekommen. Bevor man sich Kleider oder Schuhe kauft, sollte man sich im Gerber- und Färberviertel einmal ansehen, auf welch altertümliche Weise die Ausgangsmaterialien noch heute gefärbt werden. Wie man dort hinkommt? Einfach an jeder Ecke fragen, denn eine Wegbeschreibung durch das Labyrinth der Altstadt zu geben ist völlig unmöglich.
Irgendwann kommt eine Plattform in Sicht, von der man hinab auf die Farbbottiche blickt, in denen knietief die Färber stehen und Leder und Stoffe durch den Sud walken. Allein schon der Geruch ist für ungeübte Nasen schwer verträglich – an Touristen werden deswegen vor der Besichtigung Minzblätter verkauft, die man sich zum Schutz vor die empfindliche Nase halten kann. Da kann man sich leicht vorstellen, dass die Arbeit der Färber nicht besonders gesund ist. Das räumt auch Jalil ein, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass die Alternative dazu die Arbeitslosigkeit wäre.
Auf dem Rückweg durch die engen Gassen reißt mich Jalil mit dem Ruf „Esel!“ zur Seite. Die Grautiere werden von ihren Besitzern mit hoher Geschwindigkeit durch die engen Gassen getrieben, und da sie keine eingebaute Bremse haben, springt jeder zur Seite, wenn sie heranpreschen. Auf dem Rücken befördern die Tiere meist Lederstücke, die sie entweder zu dem Färbebottichen schleppen oder von dort zur Weiterverarbeitung. Da die Gassen in der Innenstadt oftmals zu eng sind für Autos, werden alle Waren auf Eselsrücken in die Medina gebracht.
Nur im Bereich um die Moschee ist man vor ihnen sicher. Ein auf Kopfhöhe angebrachter Balken, der quer über die Straße reicht, verhindert den schnellen Durchgalopp der hoch beladenen Tiere und soll für die Ruhe der Betenden sorgen. Die Absperrung gilt übrigens auch für Polizisten, die keinen Flüchtenden hinter diese Absperrung verfolgen dürfen. Bei dieser Analogie kann sich auch Jalil einen Witz nicht verkneifen, der Polizisten mit Eseln vergleicht – zumindest beim Humor scheint es so viele Unterschiede zwischen Deutschland und Marokko nicht zu geben
Jalil ist nicht nur Hotelbesitzer, sondern auch Galerist, und sein Haus ist gleichzeitig eine Art Ausstellungsraum. Überall an den Wänden hängen Originalgemälde. Hier hat er aus allen Landesteilen Werke der berühmtesten Künstler zusammengetragen – Fouad Belamine oder Fahrid Belkahia sind auch den Fachleuten hierzulande ein Begriff. „Alle paar Monate lade ich die reichen Damen ein und verkaufe ihnen ein paar Gemälde“, lächelt Jalil und verweist damit auf seine zweite Einnahmequelle.
Mit Kunstverstand hat er auch jedes der acht Zimmer eingerichtet, die jeweils die Kunst und Kultur eines bestimmten Landesteils widerspiegeln. In einem der Zimmer dient ein 600 Jahre altes Fenster aus einer Koranschule als Raumteiler, in einem anderen wurde eine 170 Jahre alte Tür zu einem Bettrücken umfunktioniert. Die Tür, die aus einer der ältesten Koranschulen der Stadt stammt, wurde von Jalil eigenhändig „gerettet“. Er erzählt, er habe sie auf dem Rücken eines durch die Altstadt trabenden Esels entdeckt, der gerade auf dem Weg zu einem Brennholzhändler war.
Neben dem traditionellen Restaurant mit seiner kunstvoll geschnitzten Holzdecke und einem Hamam zum entspannten Dampfbaden gibt es auch eine Gelsa, eine behagliche Plauderecke, die in keinem arabischen Haus fehlen darf. Dicke Sitzpolster verleiten dazu, länger als gewollt mit anderen Gästen im wahrsten Sinne des Wortes zu versacken und zu plaudern.
Wer mehr über Marokko erfahren möchte, geht am besten in die Bibliothek des Dar Ziryab. Dort gibt es eine Reihe auserlesener Werke in verschiedenen Sprachen über die Architektur des Landes, seine Traditionen und Legenden, Literatur, Religion und Philosophie. Darüber hinaus liegen Publikationen und Magazine über Marokko aus.
Übrigens gehören nicht nur „normale“ Touristen zu Gästen in Jalils Haus. Auch der in Fès geborene, vielfach preisgekrönte und auch in Deutschland sehr bekannte Schriftsteller Tahar Ben Jelloun übernachtet im Riad Dar Ziryab immer, wenn er in seiner Heimatstadt zu Besuch ist.
Hotel Riad Dar Ziryab; 2, rue Ibn Badis, 30000 Fès, Ville Nouvelle, Marokko. Internet: www.darziryab.com. Preise: 80–290 Euro pro Nacht und Doppelzimmer. Auch der Orientreiseveranstalter KaravanSerail hat das Riad Dar Ziryab im Programm, dort kann man z. B. einen Aufenthalt samt Kochkurs in diesem Gästehaus buchen. KaravanSerail – Orientreisen, Steinhalde 24, 79117 Freiburg, Fax: (07 61) 6 41 07, Internet: www.karavanserail.com, E-Mail: KaravanSerail@aol.com