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Archiv-Artikel

Wissenschaft als Propaganda-Instrument

Die Regierung von US-Präsident George W. Bush verfälsche systematisch Gutachten ihrer Berater, erklären 60 Wissenschaftler, darunter 20 Nobelpreisträger – politisch motivierte Beugung unliebsamer Ergebnisse. Regierung: Kampagne im Wahlkampf

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

US-Forscher werfen der Regierung von Präsident George W. Bush vor, wissenschaftliche Gutachten systematisch verfälscht zu haben. Mehr als 60 Wissenschaftler unterschiedlichster Disziplinen, darunter 20 Nobelpreisträger, veröffentlichten am Donnerstag eine Erklärung, in der sie die Manipulationen zugunsten politischer Ziele in den Bereichen Gesundheit, Umweltschutz, Biotechnologie und Nuklearwaffen anprangern. Einen Tag zuvor hatte bereits die „Union of Concerned Scientists“ einen 38-seitigen detaillierten Bericht zu den Anschuldigungen vorgelegt.

Konkret bezichtigen beide Papiere die Bush-Regierung, wiederholt Erkenntnisse ihrer eigenen Wissenschaftler zensiert oder unterdrückt zu haben. Weiterhin besetze das Weiße Haus Beratungsausschüsse gern mit unqualifizierten, handverlesenen Personen, die der Regierung genehm seien. Schließlich würden eigens von der Regierung eingesetzte Kommissionen wieder aufgelöst, sofern sie unerwünschte Ergebnisse lieferten. „Andere Regierungen haben solche Praktiken gelegentlich auch angewendet, jedoch nicht so systematisch und weitreichend“, schreiben die Autoren in ihrem Brandbrief. So habe die Regierung zum Beispiel den wissenschaftlichen Konsens beim Thema Klimawandel ignoriert, Daten über Quecksilberemissionen von Kraftwerken manipuliert und Studien zur Schwangerschaftsverhütung unter Verschluss gehalten.

Die Haltung der Bush-Regierung widerspreche dem Geist der Forschung und wissenschaftlicher Methoden, kritisierte Dr. Kurt Gottfried, emeritierter Professor der Cornell University und Unterzeichner der Erklärung. Sie untergrabe die Qualität des wissenschaftlichen Beratersystems und die Moral der Forscher im Dienste der Regierung. „Wissenschaft, um Bushs Vater zu zitieren, basiert auf der Freiheit der Forschung und Objektivität“, sagte Russel Train, ehemals Chef der US-Umweltbehörde.

Das Weiße Haus wies die Vorwürfe zurück. Die in dem Bericht aufgeführten Belege seien aus dem Zusammenhang gerissen und würde kein Muster darstellen, sagte Dr. John Marburger, Bushs wissenschaftlicher Berater, der New York Times. Der ehemalige Wissenschaftsberater von Bush Senior, D. Allan Bromley, warf den Unterzeichnern erwartungsgemäß vor, ihr Bericht sei politisch motiviert und rechtzeitig zum Beginn des Wahlkampfs platziert.

Doch die Anschuldigungen sind nicht neu. Immer wieder berichteten US-Medien nach Bushs Amtsantritt, dass das Weiße Haus wissenschaftliche Erkenntnisse in bislang nicht gekanntem Umfang missachte.