Der wiederkehrende Traum von Kursachsen

Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen kooperieren eng – wollen aber selbstständig bleiben. Bisher jedenfalls

DRESDEN taz ■ Das Dementi folgt regelmäßig, wenn wieder einmal die Länderfusion ins Gespräch kommt: Nein, ein Zusammenschluss von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen komme nicht in Frage. So hieß es auch, als sich die drei CDU-Partei- und Staatsführungen im März in Leipzig trafen. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer nannte in seiner unverblümt-trockenen Art einen triftigen Grund dagegen: die Stimmen für die B-Länder im Bundesrat. Aber „verstärkte Kooperation“ schließt dies nicht aus.

So wurde, unabhängig von der großen Flut, im letzten August eine etwas amorphe „Initiative Mitteldeutschland“ ausgerufen. Bei einer gemeinsamen Kabinettssitzung im Dezember brachten dann Böhmer und sein sächsischer Kollege Georg Milbradt die Zusammenlegung von zwölf Behörden und Aufgabenbereichen ins Gespräch. Überprüft werden sollen die Statistischen Landesämter, die Eichverwaltung, Forst- und Materialprüfungsanstalten, Verwaltungsschulen und Gerichte. Die drei Justizminister vertieften solche Überlegungen Anfang dieses Jahres weiter. Von gemeinsamer Strafverfolgung der Internet-Kriminalität und von einer Zusammenarbeit im Strafvollzug war die Rede.

Begründet werden solche Bestrebungen nie mental oder ideologisch, sondern stets pragmatisch. „Einspar- und Synergieeffekte“ sollten erzielt werden. Auf Fusionskurs sind mittlerweile auch die Landesversicherungsanstalten der drei mitteldeutschen Länder.

„Mehr Freiheit für den mitteldeutschen Mittelstand“ forderte Anfang Februar der Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft. Es sei ein Wirtschaftshemmhis, dass drei Länderbürokratien für einen Raum mit nur 9,5 Millionen Einwohnern zuständig seien. „Hinweg mit den Ländergrenzen!“, hieß es folgerichtig, und es schien nicht weit zu einem „Unternehmer aller Länder, vereinigt euch!“.

Beim März-Gipfel des „Ost-Blocks“ (Leipziger Volkszeitung) vereinbarten die Ministerpräsidenten, gemeinsame Bildungsstandards zu erarbeiten. Ein bewusster föderalistischer Affront gegen Bundesbildungsministerin Bulman, die diese Standards gern bundesweit definieren möchte. Ganztagsschulen werden gemeinsam abgelehnt.

Zu dritt will man sich in Brüssel für Übergangslösungen stark machen, wenn mit der EU-Osterweiterung die meisten ostdeutschen Regionen ihre „Ziel 1“-Höchstförderung verlieren. Vor allem aber haben sich Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als Modellregionen für die weitgehende Deregulierung von Arbeitnehmerrechten angeboten und unterstützen die entsprechende sächsische Bundesratsinitiave Sachsens. Halbjährlich wollen sich künftig die CDU-Landesspitzen treffen.

Diskussionen um eine mitteldeutsche Länderfusion waren nach 1990 lange verstummt, obschon es 1992 zu einem Mitteldeutschen Rundfunk als Dreiländeranstalt kam. In der Phase der Länderbildung hatte der Kirchenhistoriker Karlheinz Blaschke vorgeschlagen, wieder ein großes Kursachsen wie zur Reformationszeit zu schaffen.

Damals wie heute steht dem aber ein manchmal verblüffendes Regionalbewusstsein entgegen. Von behördlichen Besitzständen und politischen Eitelkeiten gar nicht zu reden. „Wir wollen politisch eigenständig bleiben“, hat der Sachse Milbradt gerade jüngst wieder betont. Bei der Investorenwerbung, der Verteilung von Flutgeldern, beim Liberalisierungsgrad von Kündigungsschutz oder Ladenöffnungszeiten werden schon Differenzen sichtbar. Magdeburg will die Elbe weiter ausbauen, Dresden lehnt dies ab. Und um die Sanierung der maroden Talsperre Windischleuba genau auf der Landesgrenze Sachsen-Thüringen schleppt sich seit Jahren ein zäher Zuständigkeitsstreit.

„Wir sind Sachsen und keine Ostdeutschen“, hieß es in der Biedenkopf-Ära. Aber gerade deshalb ist die neue intensive mitteldeutsche Zusammenarbeit so bemerkenswert. Sie schließt inzwischen sogar schon das SPD-regierte Brandenburg ein, mit dem sich die Sachsen Ende März trafen. Auch hier ging es um zahlreiche gemeinsame Positionen im Zuge der EU-Osterweiterung und um eine verstärkte Kooperation. MICHAEL BARTSCH