: Die al-Omaris und der neue Irak
aus Mossul MARCUS BENSMANN
Im verwinkelten Straßengewirr der Mossuler Altstadt steht die renovierungsbedürftige Al-Omari-Moschee. Das Kuppeldach weist Löcher auf, und das fünfhundert Jahre alte Minarett ragt windschief in den Himmel. Im Innenhof der Moschee liegt der Friedhof der gleichnamigen Familie.
Der Anwalt Achmed al-Omari, derzeit Oberhaupt der Familie, schreitet über das wild mit Gras bewachsene Gräberfeld und zeigt auf die verwitterten Grabsteine seiner Vorfahren. Vor fünfhundert Jahren ist der Erbauer der Moschee und Urahn Achmed al-Omaris von den Osmanen von Saudi-Arabien aus nach Mossul beordert worden, um dort als religiöser Beamter tätig zu sein. Seither gehören die al-Omaris, deren Stammbaum bis auf den zweiten Gefährten Mohammeds, Omar Bin al-Chatab, zurückgeht, zu den ältesten Aristokratenfamilien der nordirakischen Stadt. Die al-Omaris haben die Jahrhunderte hindurch in angesehenen Ämtern bei den Osmanen, den Briten und später im vorrevolutionären Irak gedient. Der 40-jährige Achmed al-Omari hat bisher als Wirtschaftsanwalt gearbeitet, da sich die Familie nicht mit dem Irak des Saddam Hussein identifizieren wollte.
Die Elite ist verunsichert
In Mossul zählen ein Dutzend Familien zu der Stadtaristokratie. Die meisten haben ihre Herrenhäuser in der engen Altstadt auf dem westlichen Tigrisufer verlassen und sind über den Fluss neben die Ninive-Ausgrabungen in komfortable Villen gezogen. In den Garagen parken vor allem deutsche Luxuskarossen älteren Jahrgangs. In der holzgetäfelten Bibliothek von Achmed al-Omari stehen bequeme englische Ledersessel, und der Humidor beherbergt eine ansehnliche Zigarrensammlung.
Viele der Familien haben sich nicht den Verlockungen der bislang herrschenden Baath-Partei entziehen können. Sie sind unsicher, welchen Platz sie im künftigen Staatsgefüge einnehmen werden.
Nachts greift der Anwalt zu einem alten englischen Maschinengewehr und patrouilliert mit den Nachbarn durch die Straßen, um die Häuser vor möglichen Plünderungen zu schützen. Sie müssen empört, aber tatenlos zusehen, wie Kämpfer der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) eine Villa beschlagnahmen. Der Bewohner sei der Baath-Partei-Chef von Mossul und nun in der Stadt untergetaucht, sagt einer der Anwohner. Der Mann habe sich aber nichts zuschulden kommen lassen.
Vor allem herrscht die Sorge, dass die um Mossul lebenden arabischen und kurdischen Stämme die Macht in der Stadt übernehmen. Al-Omari legt Wert auf den feinen Unterschied zwischen Familien und Stamm: Erstere repräsentieren die gebildete Elite.
Zwei Tage bevor Jay Garner, der US-amerikanische Sonderbevollmächtigte, die Hauptstadt der KDP, Arbil, besuchte, hat sich der Scheich des Schammar-Stammes dorthin aufgemacht, um künftige Pfründen zu sichern. Das Gebiet des Schammar-Stammes reicht von Mossul bis nach Syrien hinein, und der Scheich ist überzeugt, dass ihn 80 Prozent der Mossuler Bürger unterstützen. Zugleich will er einen pensionierten Armeegeneral seines Stammes für zukünftige Aufgaben empfehlen. Dieser habe den Gehorsam verweigert und seinen Dienst quittiert, als Saddam Hussein den Irak angegriffen hat.
Freund und Feind: die Stämme
In Mossul bei der Familie al-Omari herrscht allein bei der Erwähnung des Stammes schieres Entsetzen. Der Schammar-Stamm sei berüchtigt für seine Wankelmütigkeit, erzählt al-Omari. Einer von dessen Vorfahren hätte den eigenen Vater an die Osmanen verraten, dann seien sie unter den Engländern als willige Helfer aufgefallen und hätten unter Saddam Hussein erheblichen Reichtum erwirtschaften können.
Al-Omari setzt daher auf Mischan vom Stamm al-Dschiburi. Die Siedlungsgebiete dieses mächtigen Stammes erstrecken sich von Bagdad den Tigris flussaufwärts bis nach Mossul. Aber als früherer Freund Udai Husseins, des ältesten Sohnes von Saddam, genießt Mischan in Mossul eine zweifelhafte Reputation, auch wenn er 1989 aus dem Irak fliehen musste.
Der Scheich des Schammar-Stammes nennt Mischan schlicht einen Bankräuber. Mischan al-Dschiburi war in die Vorfälle vom 15. April in Mossul verwickelt. Als Folge einer Demonstration schossen amerikanische Marines in die Menge. Der US-Offizier beschuldigte Mischan, dieser habe sich selber gegen den Willen der Menschen zum Gouverneur ausrufen lassen. Dagegen ist Mischan überzeugt, dass die Menschen gegen die Marines und nicht gegen ihn demonstriert hätten.
Mischan wollte anfänglich ohne das Einvernehmen der Amerikaner eine Stadtversammlung, die vor allem die alten Familien berücksichtigen sollte, einberufen und einen Gouverneur einsetzen. Der quirlige Politiker rühmt sich, allein für Strom, Wasser und Sicherheit in Mossul gesorgt zu haben. Nachdem am Mittwoch die Marines in Mossul von Soldaten der US-Armee ersetzt wurden, könne er wieder mit den Amerikanern zusammenarbeiten, erklärt er unbefangen. Aber Mischan ist auch in seinem eigenen Stamm umstritten. Trotz heftiger Dementis wird von Differenzen zwischen dem Stammeschef der al-Dschiburi und dem ehrgeizigen Politiker berichtet.
Als in den überfüllten Mossuler Straßen der Mercedes von Achmed al-Omari dem Wagen des Scheichs eines weiteren bedeutenden Stammes begegnet, steigen beide aus und begrüßen sich ehrfürchtig. Der Scheich hält von dem Postengerangel nicht viel. Er bückt sich, nimmt von der Straße trockenen Lehm auf und lässt ihn durch die Hände rieseln. All diese Selbsternannten seien weniger Wert als dieser Staub, sagt er, und al-Omari überlegt, ob man sich von Mischan al-Dschiburi nicht besser fern halten sollte.