: Feurige Reden gegen das Kölner Establishment
Protest war immer im Spiel beim Kölner Karneval. Im 19. Jahrhundert unter preußischer Knute gedeiht die Subversion. Unter demokratisch gesinnten Karnevalisten wächst der Missmut gegen die Etablierten. 1845 erobert Franz Raveaux für seinen vom Volk umjubelten satirischen Zug den Neumarkt
VON KLAUS SCHMIDT
Europa im Jahre 1815. Napoleon hat abgewirtschaftet, auf dem Wiener Kongress wird der europäische Kuchen neu verteilt. Österreich und Preußen geben den Ton an. Die Preußen erhalten das Rheinland. Nicht alle Kölner sind begeistert. Der Bankier Schaafhausen meint, man habe da in eine „ärm Famillich“ hinein geheiratet. Nicht wenige trauern, wenn nicht den Franzosen, so doch den Idealen der Französischen Revolution nach.
Wenn nun ein Kölner im Jahr 1816 einen pommerschen Dragoner auf offener Straße ein „ekelich fies ussjeqwetsch Zetronejeseech“ nennt, kann der Dragoner zwar das Gefühl haben, er sei beleidigt worden, seinem Vorgesetzten aber nicht erklären, wieso. Und wenn im Karneval E – L – F skandiert wird, kann ein preußischer Spitzel das mit der offiziellen Erklärung zur Kenntnis nehmen, es hieße „ei- lustig - fröhlich!“ – oder auch mit der Auskunft, die Zahl elf sei seit dem Tod von 11.000 Kölner Jungfrauen traditionell. Nicht beweisen aber kann er, dass die Karnevalisten in Wirklichkeit mit E egalité meinten, mit L liberté und mit F fraternité.
Die Figur des „Hanswurst“
Die beliebte Karnevalsfigur des mittelalterlichen Reimsprechers Bellengeck – so genannt wegen seines bunten Kleids und seiner klingenden Schellen – gewinnt jetzt eine besondere Bedeutung. Ihm verwandt ist der „Hanswurst“, eine ebenfalls mittelalterliche Figur aus Sebastian Brants „Narrenschiff“. Diese beiden samt Masken und Mummereien sind nicht nur für die Obrigkeit, sondern auch für die ordnungsliebenden Bürger beunruhigend. In gehöriger Distanz zum wilden Treiben des „rohen Pöbels“ und seinen „ekelhaften Masken“ gibt es deshalb seit 1823 einen wohlgeordneten Maskenzug. Im Festwagen besteigt der gekrönte „Held Karneval“ den Zug, mehrspännige Wagen folgen – der Kölner Rosenmontagszug wird geboren.
Mit Schaudern blickt der Stadtrat, Kunstsammler und Oberkarnevalist Matthias Joseph DeNoel auf die Zeiten zurück, in denen ein „alle verbindendes Volksfest“ nicht mehr zustande kommen wollte: „Die Gebildeten ergötzten sich in Privatzirkeln (...). Die Ungebildeten dagegen zogen in sinnloser, oft ekelhafter Vermummung auf den Straßen umher, und entfernten durch ihr wüstes Benehmen die Ersteren immer mehr von der öffentlichen Theilnahme.“
Ein „Festordnendes Komitee“ stößt 1825 einen Seufzer der Erleichterung aus: „Gottlob: die organisierten Maskenzüge haben Gemeinheit und ekelhafte Vermummung von den Straßen verscheucht.“ Freiherr von Ingersleben, der Oberpräsident der Rheinprovinz, sieht das genauso: „Seit der Restauration Deutschlands“, schreibt er dem preußischen Innenminister nach Berlin, „haben sich die Reichen und Wohlhabenden der Sache wieder bemächtigt und ihr eine ordnungsgemäße Form gegeben, welche zugleich für die arbeitenden Klassen nicht ohne bedeutenden Vortheil ist.“ Um welchen Vorteil es sich dabei handeln soll, verrät der Oberpräsident nicht.
Im Revolutionsjahr 1830 kann das närrische Treiben des Volkes nur hinter verschlossenen Türen stattfinden. Man singt „Noch ist der Karneval nicht verloren“, nach der Melodie des freiheitsliebenden Nachbarvolkes („Noch ist Polen nicht verloren“). Der Hanswurst wird in Ketten durch die Straßen geführt. Demokratische Forderungen werden immer lauter, auch im Karneval.
Anfang der Vierzigerjahre des 19. Jahrhunderts wächst unter demokratisch gesinnten Karnevalisten der Missmut gegen die Etablierten. Im Weinhaus „Zur ewigen Lampe“ sitzt der Zigarrenhändler Franz Raveaux und hält im Freundeskreis feurige Reden gegen den Klüngel der betuchten Bürger.
Er verfügt bereits über beträchtliche politische Kampferfahrung: 1830 hat er in Brüssel für die Befreiung Belgiens von niederländischer Vorherrschaft mitgefochten und es danach im spanischen Krieg der Liberalen gegen die Monarchisten bis zum Hauptmann gebracht.
1844 gründen Kölner Demokraten unter seiner Regie aus Protest gegen den Klüngel der Etablierten eine „Allgemeine Karnevalsgesellschaft“, zu deren Veranstaltungen auf Grund niedriger Eintrittspreise nun auch Bäcker, Tischler und Schlosser strömen, die bisher ihre eigenen Feste gefeiert hatten. Die republikanische Gesinnung führt zur Rotation der Vorstandsmitglieder bei jeder Vereinssitzung. Die „Allgemeine“ gewinnt großen Zulauf – und die „Große Karnevalsgesellschaft“ verliert fast drei Viertel ihrer Mitglieder.
Polizeispitzel unterwegs
Aufruhr liegt in der Luft. Die Obrigkeit wird nervös. In Düsseldorf wird ein Karnevalsverein verboten. Begründung: „Politische Tendenzen unter dem Deckmantel der Fastnachtsvergnügungen“. Kein Problem für die Düsseldorfer: Sie feiern in Köln mit. Die Vernetzung macht schnell Fortschritte. Im Juni 1844 laden die Karnevalsgesellschaften von Köln, Bonn, Düsseldorf, Koblenz und Mainz auf die Rheininsel Nonnenwerth ein. Wortführer ist Franz Raveaux. Karneval im Sommer: Da befürchtet der Coblenzer Anzeiger, „es möchten wohl noch andere, dem Karneval ganz fremdartige Gegenstände daselbst zur Sprache kommen.“ Polizeispitzel schreiben eifrig mit. Die Zensur hat vorher schon das Wort „Freiheitsband“ auf einem Liedblatt durch „Freundschaftsband“ ersetzen lassen. Die Menge besingt aus Liederheften den Hanswurst, der seine Fesseln sprengt: „Hanswoosch hät sich emanzipeet, Hä is jitzunder mündig!“
In Köln ist 1845 am Rosenmontag die Sensation perfekt: Die Stadt erlebt zwei konkurrierende Maskenzüge. Raveaux hat für seinen heftig umjubelten satirischen Zug den Neumarkt erobert, der etablierte darf von der Apostelnstraße her nachrücken. Ein Jahr später haben die Düsseldorfer wieder mal Pech. Ihr liberaler Karnevalsverein hat Prominenten, unter ihnen Ferdinand Freiligrath, Robert Schumann und auch Franz Raveaux, die Ehrenmitgliedschaft angetragen. Der Zensor erlässt wegen „der verbrecherischen Natur des Schreibens“ Druckverbot und kassiert ein Verzeichnis der Personen, die ein Ehrendiplom erhalten haben.
Die Herrschenden reagieren immer hektischer. Im August 1846 kommt es in Köln während der Martinskirmes auf dem Alter Markt zu blutigen Ausschreitungen von Polizei und preußischem Militär. Auslöser sind verbotene Feuerwerkskörper und ein paar Steinwürfe Jugendlicher. Menschen werden zum Teil schwer verletzt, ein unbeteiligter Faßbindergeselle wird getötet und in Begleitung von 5.000 Menschen auf dem Friedhof Melaten zu Grabe getragen. Unter Führung von Raveaux wird danach zum Schutz der Bürger die Bildung einer unbewaffneten Bürgerwehr durchgesetzt. König Friedrich Wilhelm IV. kann es im fernen Berlin nicht fassen. Mit „gerechtem Schmerz“ beklagt er die „Auflehnung gegen die öffentliche Ordnung“. Sie sei „überall ein schweres Verbrechen, am meisten in einer Stadt, welche mit Recht als ein Bollwerk Deutschlands gilt“.
März 1848. Das Jahr der europäischen Revolutionen. Throne beginnen zu wackeln. Während des Kölner Karnevals schlagen die Wellen kurz zuvor schon hoch. Am 3. März – einen Tag nach Weiberfastnacht – marschieren mehrere tausend Handwerksgesellen zum Rathaus, an ihrer Spitze der Armenarzt Andreas Gottschalk. Vor versammeltem Gemeinderat fordert er Grundrechte. Die Herren zaudern, die Menge dringt ins Haus, ein Ratsherr springt in Panik aus dem Fenster und bricht sich beide Beine, das eine gar zweimal. Das Militär räumt, Gottschalk und andere werden verhaftet.
Rebellischer Charakter
Raveaux hat als Ratsherr vergeblich zu vermitteln versucht. Am 18. März fährt er mit einer Ratsdelegation nach Berlin und wird Augenzeuge der blutigen Niederschlagung der Volksbewegung. Zwei Tage später weht vom Kölner Dom die schwarz-rot-goldene Fahne der Republik – mit Einverständnis des Erzbischofs, der damit dem preußisch-protestantischen König eins auswischt.
Wenig später fährt Raveaux nach Frankfurt zur ersten Deutschen Nationalversammlung – als Kölns erster demokratischer Abgeordneter. Doch die Parlamente werden unter Preußens Führung niedergeknüppelt. Friedrich Wilhelm IV. setzt seinen Lieblingsspruch in die Tat um: „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten!“ Die Befreiungsbewegung wird 1849 in ihrem Blut erstickt. Franz Raveaux, der daran teilnahm, wird in Abwesenheit zum Tod verurteilt. Er stirbt 1851 im belgischen Exil, nicht ohne seinen Freunden in Köln noch Karnevalslieder geschickt zu haben. Dann verliert der Kölner Karneval bis auf wenige Ausnahmen seinen rebellischen Charakter. Aufmüpfig wird er erst wieder mit den frühen Stunksitzungen in den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts.