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Archiv-Artikel

Speichern, bis der Arzt kommt

Datenschutzbeauftragter klagt Sammelwut des UKE mit Patientendaten an. Gen-Analysen tausender Babys wurden jahrelang personenbezogen gespeichert

Es ist die am weitesten gehende Forderung aller Politiker, die von einer Verbrechensbekämpfung mithilfe moderner Erbgut-Tests träumen: Der genetische Fingerabdruck aller Bürger, in einer umfassenden Gendatei gespeichert, so dass Speichel-, Blut- oder Spermaproben in den Computer eingegeben und in Minutenschnelle einer Person zugeordnet werden können. Jeder ist erst mal verdächtig, jeder bis ins letzte Gen staatlich erfasst.

Dass die Grundlagen dieser geradezu Orwell‘schen Überwachungsutopie jenseits aller gesetzlichen Vorschriften bereits geschaffen werden, enthüllte jetzt Hamburgs Datenschutzbeauftragter Hans-Hermann Schrader. Seit 1992 wurden auf der Neugeborenenstation der Eppendorfer Uniklinik (UKE) routinemäßig die Blutproben tausender neuer Erdenbürger gesammelt und ausgewertet, um dann zusammen mit den Personalien von Kind und Mutter elektronisch archiviert zu werden. Es entstand, weiß Schrader entsetzt zu berichten, eine riesige „Biobank durch die Hintertür“. Ohne Rechtsgrundlage und damit illegal.

Schrader spricht von einem „Wildwuchs auf diesem Gebiet“, den sammelwütige Wissenschaftler ohne Datenschutzbewusstsein durch das so genannte „Neugeborenen-Screening“ unbemerkt von der Öffentlichkeit in Gang gesetzt hätten. Kaum vorstellbar: Die gespeicherten Gen-Daten waren für viele Krankenhaus-Mitarbeiter frei zugänglich. Der Computer, in dem die hochsensiblen Gen-Dateien gespeichert waren, stand in einem auch für Mitarbeiter anderer Krankenhausbereiche frei zugänglichen Laborraum.

Die namensbezogenen Screening-Ergebnisse waren ohne Zugriffsschutz und Geheim-Passwort für jeden verfügbar. Für die Speicherung der Daten gab es keinerlei Befristung; ihre zukünftige Löschung war offenbar nicht geplant worden. Seit 1992, so fand Schrader heraus, war keine einzige Blutprobe und keine einzige Datei vernichtet worden. Nach der Intervention Schraders sollen die Gen-Daten nun immerhin nach einem halben Jahr anonymisiert werden.

Die Speicher-Wut hat Methode: Auch in anderen Bereichen, so Schrader, werden Patientenbefunde und medizinische Proben von Behandelten ohne deren Zustimmung gesammelt und in Biobanken unanonymisiert gespeichert. Die Proben werden mit Informationen über Lebensstil und Krankheitsgeschichte des unfreiwilligen Probenspenders verbunden und, so Schrader, „für zahlungskräftige Forscherinnen und Forscher bereitgehalten“. Das Geschäft mit Gewebe und Erbmaterial blüht.

Marco Carini