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Archiv-Artikel

Durchs Heimkino zum Ich

Wo hören die vom Bildschirm geliehenen Gefühle auf, wo fangen die eigenen, echten Gefühle an? Das Bremer Kinder- und Jugendtheater Moks geht dieser Frage in seiner kurzweiligen und mitunter überfrachteten Produktion „Playback Life“ nach

„Alles neosynthetisch!“ brüllt Tom und hüpft auf einer in den Boden eingelassenen flachen Couch auf und nieder. Neo... was? „Neosynthetisch!!“ Noch lauter. Tom hat dieses Wort erfunden. Nun sagt er’s vor sich her, wenn er in seinem Reicheseinzelkindvillenzimmer hockt. Und ihn wurmt, dass seine Verbal-Kreation kein Stück lebendiger ist als das, was sie kritisieren will. Darum hüpft und springt und hechelt er über die Szene. Weil sein Leben so bewegungslos ist, so sicher und dabei stillgestellt.

Die kurzweilige, wenn auch mitunter recht wuselige Moks-Produktion „Playback Life“ wendet sich an TheaterbesucherInnen ab 13 Jahren und handelt von eigenen und geliehenen Gefühlen. Tom? Wer ist eigentlich Tom? Das würde Tom auch gern wissen. Sein Lieblingsfilm ist die Vorort-Studie „La Haine“ von Mathieu Kassowitz. Vielleicht auch darum, weil Tom zu jenen gehört, die nie zugeben würden, dass bei „Amélie“ die Tränen kullern. Rasend stillstehend ist Tom aber auch der Ruhepol des Quartetts, das die Bühne in „Playback Life“ bevölkert.

Der Plot geht so: Mit Tom, Jenny, Mark und Klara treffen sich vier Jugendliche, fein nach Klasse, Geschlecht und psychischer Disposition ausbalanciert. Die Spielregeln: Zwei Tage Filme schauen – ohne zu schlafen. „Wir gucken alles“, erklärt Mark Klara, die mit ihrem Vater erst vor kurzem in die Stadt kam. Sie ist die Neue, Jenny ist der gutgläubige Spielball, Mark ist der Mastermind und der lebenshungrige Tom stellt das mondäne Heimkino zur Verfügung.

Katrin Plötzky hat einen kühlen Raum gebaut, in dem es bis auf den Couchboden keine Möbel gibt, aber einen riesigen Videoscreen. Und eine Tür. Die führt in die Küche. Aber sie führt auch in eine Parallelwelt. Denn in der Küche ist eine Videokamera platziert. Was allein Klara nicht weiß: hier wird ein Film gedreht. Die großen Gefühle am Bildschirm reichen nicht mehr, echte müssen her. Und eigene.

So wird die reale Küche zum Studio, das Filme schauen zum Filme machen, und das nette Wochenende – natürlich – zur Katastrophe. Die vier lernen vor allem, dass sie voll sind mit „großen, echten“ Gefühlen. Jenny dämmert, dass sie unscheinbar genug ist, bei ihren „Freunden“ „keine Spur zu hinterlassen“ wenn sie ginge. Klaras Mutter starb auf den Tag genau vor einem Jahr. Und Marks Familie liegt – wie durch dauernde Handyanrufe angedeutet wird – in den letzten Zügen. Doch sie müssen sich durch Schmonzetten und Mafiaepen, durch Horror und Komödie hecheln – um zu sich zu kommen.

Es ist Klara, die die Situation schließlich auflöst. Sie ist wirklich in Tom verliebt, antwortet auf den enttäuschenden Fake aber in Filmcodes. Psychischer Stress schlägt in wirkliche Gewalt um, als sie Tom beim Küssen in die Zunge beißt und ihn blutverschmiert zurücklässt. Man fragt sich: aus welchem Film stammt das nochmal? Leider gehen an diesen Stellen vor lauter großem Kino die Geschichten der Figuren verloren.

„Wir lassen sie in fremden Leben wühlen“, sagt Regisseur Schumacher, „bis sie selber was erleben“. „Playback Life“ ist ein sehr zeitgemäßes Spiel mit den großen Themen: Liebe, Angst, Schmerz. „Man muss sich selbst zeigen, zeigen, dass man Positionen hat oder Moral. Erst dann kann man darüber reden“, erklärt Schumacher, der das Stück zusammen mit dem Ensemble konzipiert hat. „Die Figuren müssen Geschichten haben, lesbare Standpunkte. Wir lassen sie Emotionen produzieren im Stück, auch um den Preis der Katastrophe. Wir selber aber bedienen uns ähnlicher Mittel. Theater produziert ja auch Gefühle.“ Tim Schomacker

nächste Vorstellungen: 24.-27.2., 10.30 Uhr