: Sonne pur an der Roten Riviera
Der Tourismus in Bulgarien boomt. Sonnenstrand und Goldstrand, die beiden Urlauberzentren am Schwarzen Meer, haben nichts von ihrer Anziehungskraft auf Sonnenhungrige eingebüßt. Die größte Gruppe der Urlauber kommt aus Deutschland
von THOMAS MAGOSCH
Mitte April, bewölkter Himmel, 15 Grad Celsius. Wir sind in Nesebar, der historischen Halbinsel am südlichen Ende des bulgarischen Sonnenstrands. Während dort noch fieberhaft an Hotelneubauten, Rekonstruktionen, Straßenpflastern gearbeitet wird, hisst man auf der Halbinsel flankiert von der europäischen und bulgarischen die österreichische Flagge. „Sechs voll gepackte Busse“, rumort es unter den wenigen Händlern, die fieberhaft die historischen Fassaden mit Touristennippes behängen. Österreichische Rentner sollen es sein, die auf pauschaler Entdeckungsreise aus Albena anrollen. Zahlungskräftige Kundschaft.
Knapp 2,5 Millionen ausländische Touristen haben das Land in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres nach Auskunft des Wirtschaftsministeriums bereist. Allein bei den deutschen Touristen, die traditionell die stärkste Urlaubergruppe darstellen, sind Zuwachsraten von über 20 Prozent zu verbuchen. Knapp eine halbe Million Deutsche steuerten bis September vornehmlich die Charterflughäfen Burgas und Varna an. Und ein Ende ist nicht abzusehen.
Die TUI verbucht bei einem weltweit eher stagnierenden Geschäft 50,3 Prozent Umsatzsteigerung in Bulgarien. Für die Saison 2003 wird mit einem knappen zweistelligen Zuwachs bei Teilnehmern und Umsatz gerechnet.
Sonnenstrand und Goldstrand scheinen ihren Namen für die Veranstalter alle Ehre zu machen. Denn auf diese beiden Kerngebiete beschränkt sich die sonnenhungrige Flut. Im Norden das Zentrum Varna mit den Kurorten Sveti Konstantin, Goldstrand und dem etwas weiter nördlich gelegenen Albena, einer architektonisch interessanten Plattenbau-Strandsiedlung; in der Mitte Burgas, mit den knapp vier Kilometern Vergnügungsmeile Sonnenstrand.
Doch entgegen allen Befürchtungen und dem gern bedienten Klischee wehrt sich die bulgarische Küste bislang erfolgreich gegen das Etikett „Ballermann 2“. Es geht irgendwie ruhiger, geordneter, gesetzter zu in den Pauschalbettenburgen.
Kleinfamilien und Pensionisten prägen die Flaniermeilen und „Bierhallen“. Auch am Strand gehören wilde Saufgelage zu den eher seltenen Bildern.
Die Strandabschnitte sind größtenteils sprachlich gegliedert. Bademeister Slatko spricht hervorragend Deutsch und hat seine Pauschalis bestens im Griff. Neben der Wellenbeaufsichtigung obliegt ihm die Multifunktion eines Animateurs. Er kümmert sich um die Kinder, verkauft Erfrischungsgetränke und vermittelt Touren ins Land oder zum Metro-Markt nach Varna mit befreundeten Taxifahrern.
Nebenan braten die Briten, dann die Skandinavier, und vielleicht findet man noch Reste der traditionellen russischen Gruppen, die in der letzten Saison allerdings aufgrund der Einführung einer Visumpflicht zu großen Teilen ausblieb. Was sich vor allem im Süden bemerkbar macht. Denn der Süden, also das Gebiet zwischen Burgas und der türkischen Grenze, ist bislang massentouristisch eher dürftig erschlossen. Hier herrschen noch Campingplätze und einfache Zimmer in Bauten geringer Höhe vor.
Am zentralen Platz in Losenetz beispielsweise wundern sich die alten Frauen, die hier ihre Maiskolben anbieten, über deutsche Touristen. Hierher verschlägt es vor allem Russen, Slowaken und Polen. Und diejenigen unter den Bulgaren, die sich einen Urlaub im eigenen Land leisten können. Gern verirrt sich auch mal ein amerikanisches Individualtouristenpärchen in ein Dorf, wo es schnell erkannt und von sämtlichen verfügbaren Taxifahrern umringt wird, die ein schnelles Geschäft wittern.
Der große Reibach hingegen wird im Norden gemacht. Am 8. Juni 1957 eröffnete mit dem Haus „Rodina“ offiziell das erste Hotel seine Pforten am Goldstrand. Die Grundsteinlegung für die Rote Riviera, wie sie bis in die 90er-Jahre noch genannt wurde.
Dabei kursierten schon zu sozialistischen Zeiten merkwürdige Mythen um die Goldgrube Goldstrand und seine Namensfindung. Eine berichtet von der Staatskasse des Osmanischen Reichs, die bei einem Schiffbruch verloren ging, und an ebenjenem Strandabschnitt gefunden wurde. In Kombination mit Sonne, Meer und Stränden sei der Reichtum dann produktiv zu „Palästen aus Stahl, Stein, Glas und Beton in sehr anziehenden originalen Baugruppen“ verwendet worden, heißt es in einem Reiseführer aus dem Jahr 1971. Dabei hat man lange vergessen und verdrängt, dass die Paläste im wahrsten Sinne des Wortes auf Sand gebaut wurden.
Ivan P. besitzt eine kleine Parzelle Land über dem Jachthafen des Goldstrands. Hinterm Hotel „Horizont“, einem der letzten Häuser der ausgebauten Touristenmeile. Ivan hat sich eine kleine Datsche auf zwei Etagen gezimmert, bestellt ein paar Quadratmeter Boden, baut Kartoffeln, Zwiebeln und Wein an.
Im März 1986 verrutschte die gemauerte Schrebergartenidylle mit Meerblick drastisch. Seitdem steht Ivans Haus windschief am Hang. Die Nachbarhäuser hat es stärker erwischt. Sie liegen zusammengefaltet wie Kartenhäuser in der Landschaft herum. Zweieinhalb Meter senkrecht, zehn Meter in Richtung Meer verschob sich damals der Berg. Es scheint so, als ob die Schneise, die die Erosion geschlagen hat, erst gestern entstanden wäre. Auf Ivans Eckbank kann man nur noch sehr weit nach vorne gebückt sitzen, die umliegenden Parzellen stehen zum Verkauf. Seit längerem schon.
Ivan ist kein Einzelfall. Seit Ende der 90er-Jahre beschäftigen sich auch die zuständigen Ministerien in der Hauptstadt mit dem Problem. Neben den Erosionen frisst sich das ab und an alles andere als gastfreundliche Schwarze Meer stellenweise regelrecht in die Buchten.
An allen Ecken und Enden werden Stufen in die Anhöhen gemauert, Drainagen gelegt und die Küsten mit Wellenbrechern und befestigten Molen zubetoniert. Die Hang- und Wassersicherungsmaßnahmen beschränken sich dabei nicht nur in der Region Varna weitgehend auf touristisch erschlossene Gebiete.
Am Hang über dem Komplex „Journalist“ am Goldstrand zeigt sich das ganze Ausmaß der möglichen Zerstörungen. Die einzigen Gäste, die sich hier noch in die Fluten oder unter das rostige Rohr einer heißen Quelle begeben, sind die Varnaer selber. Aber auch hier sollen bis spätestens Ende 2004 die Befestigungsmaßnahmen wie an der gesamten Küste abgeschlossen sein.
Die Goldküste versinkt also, anders als die Sonne in Bulgarien, nicht im Schwarzen Meer. Vielmehr wird sich die Gastfreundlichkeit vor allem deutscher Tourveranstalter in den nächsten Jahren zunehmend dem Süden zuwenden. Hier sollen zahlreiche Ferienhaussiedlungen und Bungalowdörfer nach den erfolgreichen Vorbildern an Italiens oder Spaniens Küsten entstehen. Selbst der Robinson Club plant eine Niederlassung an der bulgarischen Schwarzmeerküste. Bulgarien boomt weiter, keine Frage.