: Der Letzte der Fab Four
Am Sonntag geht Paul McCartney mit über einem Dutzend Beatles-Songs auf Deutschlandtournee
Wie konnte das geschehen? Jahrelang war Frieden im Land, ab und zu kauften sich die letzten Beatles-Getreuen den einen oder anderen Best-of-Zusammenschnitt, Anthologien unfertiger Stücke aus besseren Zeiten, manchmal auch eine DVD-Dokumentation. Ganz hart gesottene Fans sollen sich sogar das letzte Soloalbum von Paul McCartney ins Regal gestellt haben. Wohl mehr aus sentimentalen Gründen. Weil die Erinnerung immer weiter „Yesterday“ im zart schmelzenden Tenor der Jugend heraushört, selbst wenn McCartney mit seiner vom Alter angerauten Stimme die neuen Lieder singt wie ein Pubrocker.
Vergeben und vergessen. Seit 25. März ist Paul McCartney auf Europatournee, 91 Konzerte in 16 Ländern. Er wird im Kolosseum von Rom spielen und auf dem Roten Platz in Moskau. Er ist nicht nur „Back in the USSR“. Seine aktuelle Doppel-CD, die er letztes Frühjahr bei Auftritten in den USA aufgenommen hat, heißt gleich „Back in the World“, und das meint: Sieg nach Punkten. Nach dem Tod von John Lennon und George Harrison ist McCartney der große Überlebende der Band of Pop (bei Ringo Starr weiß man nicht recht, wie es so läuft – eine neue Platte oder eher eine neue Leber?).
McCartney war die treibende Kraft hinter der TV-Serie über das Leben der Beatles; und auf dem „No. 1“-Album waren die von ihm gesungenen Songs in der Mehrheit. Sein größter Triumph kam jedoch zum 50. Thronjubiläum der Queen: Im Juni 2002 stand er im Garten des Buckinghampalasts, sang „Hey Jude“ und „All You Need Is Love“. Die Königin wurde ein wenig rot bei so viel Zuneigung und Liebe, Sir Paul aber war am Ziel: Er hatte den Bogen über 40 Jahre Geschichte geschlagen und damit den Sound der Beatles ins Stammbuch der Nation eingetragen. Plötzlich war alles in eins gesetzt: Britische Arbeiterkultur und royale Sehnsucht, aufgehoben im lang ausklingenden a-Moll von „Let It Be“.
Zum K.o. hat es trotzdem nicht gereicht. Obwohl McCartney zur aktuellen Tour mehr als ein Dutzend Beatles-Songs eingepackt hat und mit „Hello Goodbye“ oder „Getting Better“ einige Stücke aus dem Fundus der Fab Four überhaupt zum ersten Mal live präsentiert, gibt es immer noch Scherereien um das Erbe. Nur wo Lennon/McCartney drunter steht, ist auch Beatles drin, meint etwa die Lennon-Witwe Yoko Ono, und klagt, dass der Alt- und Ex-Beatle Paul die sakrosankte Namenfolge bei seinen Live-Aufnahmen umgedreht hat. Für McCartney war das kein Verbrechen. Schließlich habe er, so jedenfalls seine Erklärung in der britischen Presse, an den von ihm ausgewählten Beatles-Songs den Hauptteil zu den Kompositionen beigetragen, während Lennon lieber auf Bohemekünstler machte und seinen Kompagnon im Studio gewähren ließ. Fast die gesamten Sessions von 1968/69 sollen von McCartney geschrieben, arrangiert und eingesungen worden sein. Von „Lady Madonna“ bis „Get Back“, alles Macca oder was?
Nein, so weit will McCartney mit der forschen Umschreibung der Geschichte nicht gehen. Dafür ist der immer noch jungshafte Milliardär am Ende doch zu schüchtern und auch viel zu schlicht gestrickt. Wenn er jetzt wieder mit Beatles-Songs auf Tournee geht, dann vor allem aus dem Spaß an der Sache, die Musik heißt – und überall auf der Welt verstanden wird. Yeah yeah yeah. HARALD FRICKE