Der Leibarzt des Despoten

Saddam konnte vergeben und großzügig schenken, aber im nächsten Moment auch töten – wie ein GottEinmal am Tag kam ein Wärter und klatschte langsam zehnmal in die Hände: Zeit für die Toilette

aus Bagdad KARIM EL-GAWHARY

Es ist ein gespenstisches Selbstporträt, das im Behandlungsraum des irakischen Orthopäden und Malers Doktor Ibrahim Abdel Sattar al-Basri hängt. Wütend, finster dreinblickend sitzt er auf einem Stuhl. Mit der rechten bloßen Hand zerdrückt er ein leeres Cognacglas, die linke ist zu einer Faust geballt, weiß, blutleer.

Es ist die künstlerische Selbstbeschreibung eines Mannes, der wie nur wenige erlebt hat, von Saddam Hussein erhoben zu werden, und der es überlebt hat, von ihm fallen gelassen zu werden. Mehr als ein Jahrzehnt stand Doktor Basri dem irakischen Diktator als dessen persönlicher Orthopäde und Fitnesstrainer zur Verfügung, bevor er in Ungnade fiel und für zwölf lange Jahre in dessen Kerkern verschwand.

Sein Haus in Bagdad, das er im Moment kaum verlässt, ist chaotisch eingerichtet. Direkt hinter seiner Praxis befindet sich der Wohnbereich. Westliche Möbel aus den frühen Achtzigern stehen hier, eine Bar mit halbleeren Whisky-, Cognac- und Arakflaschen und davor eine Reihe afrikanischer Trommeln. An den Wänden des davor liegenden Empfangszimmers hängen zahlreiche Symbole asiatischer innerer Stärke und Ausgeglichenheit an den Wänden. Es ist das Haus eines Menschen, der endlich seine Ruhe finden möchte, aber immer noch von seiner Vergangenheit umgetrieben wird. Sie hat ihn zu einer Person mit gemischten Gefühlen gemacht, von denen er keins zeigen möchte. Er sei vom System Saddam Husseins nicht gebrochen, betont er: „Man kann keinen Mann brechen, der innerlich nicht bereit ist, zu zerbrechen“, erklärt er seine Einstellung. „Ich bin sehr streng mit meinen Söhnen, weil ich will, dass sie richtige Männer werden“, sagt er.

Hier ähnelt er sehr seinem ehemaligen prominenten Patienten. Saddams Lieblingsthema war seine eigene Tapferkeit und Männlichkeit und welche Wirkung diese auf Frauen habe, berichtet Doktor Basri, der dem Diktator mehr als ein Jahrzehnt lang als Leibarzt zur Seite stand, zunächst mit einigem Stolz: „Ein Diener Saddam Husseins zu sein bedeutete, unter den Leuten als König angesehen zu werden. Und ich war sein Arzt. Das hat mir natürlich sehr gefallen.“

Das erste Mal traf er Saddam bei einem Vorstellungsgespräch. Fünf Orthopäden waren geladen. Der Diktator wollte sich persönlich seinen Arzt herauszusuchen. Doktor Basri kam als letzter dran. Er bekam einige Röntgenbilder zu sehen und sollte eine Diagnose stellen. „Ich habe ihm gesagt, er solle sich ausziehen, damit ich ihn untersuchen kann, worauf mich alle vollkommen entgeistert ansahen“, erinnert sich Doktor Basri. Darauf habe er erklärt, dass er fünfzehn Jahre lang in Deutschland studiert habe, zunächst seinen Doktor in Leipzig gemacht und später in Halle habilitiert habe und dass er dort gelernt habe, ohne Untersuchung des Patienten keine Diagnose zu stellen. Saddam, zur Überraschung aller, stimmte zu. Nach der Untersuchung schlug Doktor Basri zur Behandlung seines Rückenleidens Spritzen in das Rückenmark vor. Allen im Raum schien das zu riskant. Ob er garantieren könne, dass dabei nichts schief gehe, wurde er gefragt. „Ich bin Arzt und kann nichts garantieren, außer, dass ich mein Bestes geben werde“, habe er geantwortet. Saddam war beeindruckt. Er befahl, Basri einzustellen.

Später lernte der Arzt die dunklen Seiten seines Patienten kennen, zum Beispiel, als Saddam einen in Ungnade gefallenen Mann seinen Doggen vorwarf und genüsslich eine Zigarre rauchte, während die ausgehungerten Hunde den Mann zerfleischten. Am besten, sagt Doktor Basri, lasse sich Saddam als Mafiapate beschreiben, als „jemand, der vergeben und großzügig schenken, aber im nächsten Moment auch töten konnte, ähnlich wie ein Gott“. Dabei konnte er auf einen Apparat von bedingungslos Gehorsamen zurückgreifen. Saddam habe sich die armen Analphabeten aus seiner Familie und aus seinem Stamm herausgesucht, sie in hohe Positionen gehoben, ihnen Villen und Autos geschenkt und sich so ihrer bedingungslosen Loyalität versichert, erklärt Doktor Basri und fasst das System Saddam in einem Satz zusammen: „Er hat sie herangezüchtet wie auf einer Schweinefarm.“

Die Reaktionen des irakischen Diktators waren niemals vorhersehbar. Doktor Basri erzählt die Geschichte, dass er einmal bei Saddam saß, als dieser den Bericht über einen betrunkenen Offizier der Republikanischen Garde erhielt, der in einem Bagdader Vergnügungsviertel wild um sich schoss. Der erste Befehl des Präsidenten kam ohne Zögern: „Bringt den Kerl um.“ Eine Stunde darauf kam ein weiterer Bericht herein: Die Polizei habe den Mann umstellt, könne seiner aber weder habhaft werden noch ihn erschießen. Darauf befahl Saddam beeindruckt, dem Mann freies Geleit zu geben und alle an der Operation beteiligten Polizisten zu degradieren.

Es war auch wohl Doktor Basris Courage, die Saddam lange beeindruckt hatte. Etwa als der bat, sich neben den Präsidenten setzen zu dürfen, und dann begann, ganz normal mit ihm zu reden. Zur gleichen Zeit stand der Gesundheitsminister vor „Seiner Exzellenz“ stramm im Raum. „Saddam respektierte Mut und ein wenig Widerspruch, sammelte aber im Kopf alles, immer den Blick darauf gerichtet, wann ihm sein Gegenüber gefährlich werden könnte“, beschreibt Doktor Basri die Methode des Diktators. Am Ende wurde sie ihm selbst zum Verhängnis. Saddam hat wohl gespürt, dass sein Leibarzt ihm gegenüber immer kritischer wurde. Heimlich begann der zu Hause zu malen, ein Ölbild zum Beispiel, das er 1990 kurz vor seiner Verhaftung erstellt hat und das er erst jetzt erstmals offen zeigen kann. Es stellte eine Landkarte des Irak dar, übersät mit Totenköpfen, davor das lachende Skelett Saddams auf einem schwarzen Hengst. „Das Pferd rebelliert und setzt sich mit einem erstickten Wiehern zur Wehr“, beschreibt der Maler sein Bild. Das Skelett habe er ganz getreu nach den Röntgenaufnahmen seines präsidialen Patienten gezeichnet.

Auch mit Worten wurde Basri unvorsichtiger, etwa, als er gefragt worden war, ob er dem irakischen Parlament beitreten würde und mit dem Argument ablehnte, er wolle keinem Marionettenparlament angehören. Dies führte zu seiner Verhaftung. Und andere Dinge, über die er nicht reden möchte.

Zunächst wurde er in die bekannte „Hakimiya“ gebracht, einen Folterknast mitten in Bagdads Innenstadt. In rot angestrichenen Zellen ohne Fenster und nur mit einer kleinen roten Glühbirne, wurden dort die Gefangenen mürbe gemacht und dann regelmäßig im Keller gefoltert und verhört. Doktor Basri saß drei Jahre lang ohne jeglichen Ausgang in Isolationshaft. Unter den Schlägen seiner Wächter wurde ihm ein Bein zweimal gebrochen, er bekam Elektroschocks an Ohrläppchen und Beinen. Um ihn kleinzukriegen, wurden später sogar seine deutsche Frau Gudrun und sein ältester Sohn für zwei Monate eingesperrt. Nach einer Generalamnestie blieb Basri allein zurück. Oft wurde er in andere Gefängnisse überstellt, zwölf Jahre lang. Am schlimmsten, sagt er, sei ein Gefängnis des Geheimsdienstes im Bagdader Stadtviertel Mansur gewesen. Dort gab es kein Wasser und keine Toilette in der Zelle. Einmal amTag kam der Wärter und klatschte langsam zehnmal in die Hände. Solange hatte Basri Zeit, sich entweder zu waschen oder seine Notdurft zu verrichten.

Der Arzt hat sich über die Jahre seine eigene Überlebensstrategie zusammengebastelt. „Du musst den Körper für deine Seele opfern“, fasst er diese zusammen. Auch autogenes Training, das Rezitieren von Gedichten oder Sammeln und Zählen von Läusen, habe ihm geholfen, diese Zeit zu überstehen. Im Gefängnis hat er mit kleinen Steinchen einen Teppich bestickt. Er hat ihn nach Hause mitgebracht. „Gott ist der Hüter deines Schicksals“, steht auf dem steinernen Mosaikgewebe.

Vor sieben Monaten wurde Doktor Basri schließlich entlassen. Ein halbes Jahr darauf erlebte der heute Einundsechzigjährige den Sturz seines ehemaligen Patienten. Der Pate ist entthront. Nun führt Basri eine neue Partei an, die „Demokratische Allianz“. Bisher will er sich nicht an dem Schacher um die Macht im neuen Irak beteiligen. „Das ist die Zeit der Opportunisten“, sagt er dazu nur. Die Amerikaner, glaubt er, wüssten nicht, was sie wollten. Und sollten sie zu lange bleiben, würden sie einen tödlichen Fehler begehen.

Ein richtiges politisches Programm hat er noch nicht. Nur über drei Punkte ist er sich sicher. Erstens: Nirgends im Irak sollen jemals wieder Bilder des Präsidenten hängen. Zweitens: Kein Schriftsteller oder Dichter soll jemals wieder eine Lobeshymne auf einen großen Führer singen. Drittens: Niemand im Irak soll jemals mehr nach der Rede eines Präsidenten klatschen müssen.