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Archiv-Artikel

Schwarz zu sein, bedarf es wenig

Das „Negerkostüm“ hat eine lange Tradition im Kölner Karneval. Ob nun Synonym für unzivilisiert und kulturlos, oder als Darstellung des Klischees vom edlen Wilden – Kritiker fordern von den Deutschen, die sich als „Negerköpp“ verkleiden, mehr Sensibilität gegenüber den schwarzen Mitbürgern

von jürgen schön

Einmal Prinz zu sein... Im Karneval wird so mancher Wunsch wahr. Das mit dem Prinz, zumal als offizieller Prinz Karneval, kann zwar etwas teuer werden, aber es gibt ja auch preiswerte Kostüme von der Stange. Die gesellschaftlichen Verhältnisse zumindest für kurze Zeit umzukehren, oben und unten auf den Kopf stellen, einmal ein Anderer sein als im Alltag – das ist ein uralter Grund, Karneval zu feiern.

Das Kostüm auch als Teilhabe am Unbekannten. Die fast mystische Übernahme einer anderen Persönlichkeit. Einmal Indianer zu sein, stark und edel. Reich wie ein Scheich, nicht nur an Geld und Öl, vielleicht auch an Frauen. Wild wie ein Wikinger. Auch einmal ohne langfristige Folgen die Rolle des Underdog spielen, den dummen August oder den Sträfling: Buße tun, ohne dass es weh tut.

Ein „echter“ Schwarzer

Eine tiefgehende, detaillierte psychologische Studie über die Gründe, ein bestimmtes Kostüm zu wählen, steht noch aus. Zum Beispiel der „Neger“: Ist er der gefährliche Wilde, der Sexprotz, von den einen begehrt, von den anderen beneidet und gefürchtet? Eine schwarze Strumpfhose, schwarzer Rollkragenpullover, schwarze Handschuhe, ein Baströckchen, eine Lockenperücke, natürlich auch schwarz. Um den Hals eine Kette aus Knochen und Plastik. Politisch korrekt wird das Kostüm seit einigen Jahren als „Afrikaner“ angeboten. Politisch korrekt? Was wohl die „Araber“ in Nordafrika dazu sagen? Richtig ist derzeit „Schwarzafrikaner“.

Sascha Zinflou von der „Initiative schwarze Deutsche und Schwarze in Deutschland e.V.“ hat sich das „Neger“-Kostüm mal näher angesehen und kommt zu einem klaren Ergebnis: „eindeutig rassistisch“. Es stehe für wild, unzivilisiert, kulturlos – nicht nur, wenn auf dem Preisschild „Cannibale“ steht. Und wenn es jemand trägt, um auf den Spuren des edlen Wilden von Rousseau zu wandeln? „Auch dieser positive Rassismus ist beleidigend“, sagt Zinflou. „Wir sind nicht die unverdorbenen Eingeborenen an der Schwelle zur Zivilisation.“

Für die Historikerin Hildegard Brog, Expertin für die Geschichte des rheinischen Karnevals und Autorin des Standardwerks „Was auch passiert: D‘r Zoch kütt!“, ist das Negerkostüm ein altes Klischee. Wie es aber im jeweiligen historischen Kontext zu deuten sei, dazu bestehe noch erheblicher Forschungsbedarf, zu dürftig sei noch die Quellenlage. Nachweislich zum ersten Mal tauchte es nach ihren Recherchen 1609 bei einem höfischen Karnevalsumzug in Dresden auf: Da zog ein dicker Mohrenkönig durch die Straßen, mit buntem Lederschurz und Federschmuck auf dem Kopf, Elefanten zogen seinen Thron. „Damals schmückten sich die Fürsten gerne mit Exotik“, erklärt Brog und verweist auf die ebenfalls begehrten Chinoiserien.

Dieses Höfische wurde in Köln, seit es 1823 den durch das Festkomitee „geordneten“ Karneval gab, immer wieder in den Rosenmontagszügen aufgegriffen. 1885 gab es einen „rein schwarzen“ Umzug, inspiriert von den Reiseberichten Karl Joests, dem Mitbegründer des Kölner Völkerkundemuseums, und einer Völkerschau mit „Australnegern“. Auf den Motivwagen wurden die deutschen Kolonialherren karikiert, die schwarze Rekruten stramm stehen ließen, ihnen deutsches Steuerwesen und Wahlrecht beibrachten.

„Ob man sich hier über die Afrikaner lustig machte oder über die Preußen, lässt sich nicht eindeutig klären“, sagt die Wissenschaftlerin. Nach 1892, so Brog, ändert sich langsam das eher romantische Bild vom Schwarzen, es ändert sich zu Herablassung und Überheblichkeit. Dabei spielte der Hereroaufstand von 1904 im Rosenmontagszug keine Rolle, hier zeigte man die heile Welt. Anders im Sitzungskarneval. „In Afrika, dem heißen, Hereros wurden wild, ob da die braven Weißen, nicht herrschten viel zu mild?“, hieß es in einer Büttenrede.

In den frühen 30er Jahren des 20. Jahrhunderts konnten erst die Blauen, dann die Roten Funken einen „echten“ Schwarzen in ihren Reihen vorweisen: den Berufsmusiker Wilhelm Sambo, der als Waise von einem deutschen Offizier nach Deutschland gebracht worden war. Der Trommler starb 1933 im Alter von 53 Jahren. Ob und wie unter den Nationalsozialisten im Karneval Schwarze ein Thema waren, bedarf noch genauerer Forschung. Interessant wäre es zum Beispiel, wie sich die Eigelsteiner „Original Negerköpp vun 1920“ in dieser Zeit verhalten haben.

Ein wichtiges Datum in der Beziehungsgeschichte „Der Kölner und der Neger“ ist für Brog das Jahr 1956. In einem WDR-Nachwuchswettbewerb trat Trude Herr als US-Besatzungskind, als schwarzes Riesenbaby auf und warb um Verständnis für die Mischlingskinder: „Trotz schwarzem Blut habe ich ein kölsche Gemüt“, sagte sie, was sich auf Kölsch nicht nur reimt, sondern auch anrührender klingt. Es soll die Kölner durchaus toleranter gestimmt haben. Wenigstens an Karneval.

Dem „einfachen“ Narren das Negerkostüm verbieten will Sascha Zinflou nicht: „Das wäre der zweitschlechteste Weg.“ Und: „Ich unterstelle da keine Bösartigkeit.“ Schließlich könne man durch den Karneval auch nicht die Welt verbessern. Aber er fordert – und dazu nimmt er den 100. Jahrestag der Niederschlagung des Herero-Aufstands durch die Deutschen zum Anlass – von den Weißen mehr Sensibilität gegenüber ihren schwarzen Mitbürgern, ein kritisches Hinterfragen, warum sie sich als Schwarze verkleiden, welches (Selbst-)Bild sie auf das Kostüm projizieren. „Es ist doch immer noch so, dass Schwarze als Sportler und Musiker akzeptiert werden, nicht aber als Ärzte oder Rechtsanwälte“, beschreibt der Unternehmensberater im IT-Bereich die deutsche Realität.

Zinflous eigentliche „Zielgruppe“ sind vor allem die zahlreichen Karnevalsgruppen oder „Stämme“, die sich etwa „Negerköpp“ oder „Buschräuber“ nennen. Immerhin gebe es heute ja auch keine „Negerküsse“ oder „Mohrenköpfe“ mehr. „Doch da stoßen wir gegen eine Wand – wenn man überhaupt mit uns spricht.“

„Das waren doch Wilde“

Aber vielleicht erledigt sich das Problem ja bald von allein. Nach einer durchtanzten Nacht die schwarze Schminke abzuwaschen, ist vielen zu aufwändig. Das schreckt den Nachwuchs ab. Die „Vringsveedeler Dschungelbröder“ haben sich deshalb schon vor Jahren in „Karneval anno Pief“ umbenannt und kleiden sich seitdem frei à la Biedermeier. Mit politischen Überlegungen begründeten sie den Wechsel nicht.

Möglicherweise sind „Afrikanerkostüme“ in Zeiten des Ferntourismus auch nicht mehr so gefragt, vermutet Brog. „Mangels Nachfrage haben wir das Kostüm schon letztes Jahr aussortiert“, sagt Frank Schröder, Geschäftsführer beim Kölner Marktführer Karnevalswierts. Den Vorwurf des Rassismus kann er nicht nachvollziehen: „Das waren doch mal Wilde, genau wie die Wikinger. Man sollte das nicht so ernst nehmen.“ Da ist er sich mit seinem Kollegen Winfried Wüst vom „Haus des Karnevals“ in Frechen einig. Der meint: „Bei der Kritik dürfte man sich ja auch nicht mehr als Türke verkleiden.“ Manche Narren verkleiden sich, so scheint es, zwar mit Sinn, aber nicht immer mit Verstand.