: Singende Füße
Der Tänzer Akram Khan und die Choreografin Martine Pisani eröffneten die achten „Körperstimmen“ im Podewil
Bevor er loslegt, den Raum mit seinen Füßen und Händen in Himmel und Erde zu teilen, tritt Akram Khan ans Mikrofon und singt, trommelt mit der Zunge die Komposition, die er gleich aus einem Rhythmus von elf Schlägen zu tanzen gedenkt. So gibt er Partha Sarathi Mukherjee, dem Tablaspieler am Bühnenrand, eine Chance, ihm in der Improvisation zu folgen. Vor allem aber ist dies ein Angebot an sein westeuropäisches Publikum, begreifen zu lernen, welcher Freiraum an dramatischen Varianten in der Tradition des Kathak, dem klassischen indischen Tanz steckt.
Denn Akram Khan ist nicht nur ein Shooting Star der Londoner Tanzszene, sondern auch ein Botschafter der Klassik. Bekannt geworden ist er zwar für seine Fähigkeit, die indische Kunst mit zeitgenössischem Tanz zu verbinden, und ein solches Programm zeigte er auch vor zwei Jahren bei seinem ersten Gastspiel im Podewil. Aber er will noch etwas anderes: „Es ist sehr schwer, ein traditionelles Programm hierher zu bringen“, sagt er und schwitzt vor Anstrengung und Freude, es dennoch zu tun, drei Kostüme durch. So erzählt er uns erst von der Schönheit der 500 Jahre alten Formen, von ihrer mathematischen Eleganz und wie er in diese Struktur durch Akzentverschiebungen und Spiel mit der Geschwindigkeit eine gewaltige Spannung und Virtuosentum hineinbringen kann. Dann erst tanzt er, vom dunklen Flüstern seines Sängers und den Musiker an Tabla, Sitar und Cello begleitet, eine Geschichte von Lord Krishna und dem Krieger Arjuna.
Selbst, wenn man nicht weiß, wann er den Gott und wann er den Krieger meint, wird man doch mitgetragen von der Ballade, vom Grollen und Blitzen in den Bewegungen, von Zorn und Stolz, Demut und Glück. Für uns ist es nur ein Märchen, aber für ihn ist es die Erschaffung der Welt aus dem Klingeln der Glöckchen an den Füßen und mit Händen, die den Fluss der Energie ebenso sanft zu modulieren wissen wie entschieden anhalten und umlenken können.
Mit Akram Khan begann das 8. Performance-Festival „Körperstimmen“ im Podewil. Ein größerer Gegensatz als zwischen ihm und dem Stück „sans“ der Pariser Choreografin Martine Pisani, das als zweites folgte, ist wohl kaum vorstellbar. Bei Pisani gleicht der Körper einem verstimmten Instrument, dem Melodien und Lieder in der Erinnerung dauernd zerbröseln. Wo Khan wagt, die Schönheit einer alten Form mit ansteckendem Glücksempfinden wie ein Geschenk weiterzugeben, winden sich die drei Tänzer von Martine Pisani voller Furcht vor ihren eigenen Sehnsüchten. „sans“ ist ein Stück der Trauer über die Ankunft in der Moderne und den Zwang zur Dekonstruktion der kompositorischen Regeln: Aufgeführt aber wird diese Geschichte vom Unglück wie eine Slapstick-Komödie. Die Tänzer erinnern mit ihren schreckhaften Bewegungen, mit ihrem Fallen und sich Aufhelfen, mit ihren Knoten zwischen zwei bis sechs Beinen nicht selten an die nervöse Art von Mister Bean.
Théo Kooijman, Laurent Pichaud und Olivier Schram markieren: Sie zitieren Ballett, Contact-Improvisation, Modern Dance oder Eiskunstlauf mit übertriebenem hölzernen Ungeschick. Sie spielen wie die Kinder, die veralbern müssen, was sie sein möchten, aber noch nicht sind. Sie stolpern den eigenen Wünschen hinterher wie ein betrunkenes Double. Fehlerhaft zu bleiben und nicht festgelegt werden zu können scheint ihre einzige Sicherheit: Als ob sie nichts so sehr fürchteten wie eine perfekte Form, die möglicherweise vergessen ließe, wer sie ausführt und wie schwer die Arbeit an der Schönheit ist.
KATRIN BETTINA MÜLLER
Das Tanz- und Performance-Festival „Körperstimmen“ läuft bis zum 5. Mai im Podewil, Klosterstraße 68, Mitte