: Viel Rauch um Sasi
SARS hat ganz Peking lahm gelegt. In der Hauptstadt reden alle davon. Unter den 5.300 Berliner Chinesen breitet sich Konfusion aus. Und einige gingen am liebsten prophylaktisch in Quarantäne
von ADRIENNE WOLTERSDORF
Seit zwei Tagen geht es Zhou Zhiyang nicht so gut. Im Bauch des chinesischen Computerhändlers rumort es. SARS? Na ja, denkt er laut nach. Er sei erst vor vier Wochen aus China zurückgekommen. Aber vor zwei Tagen war er beim Araber um die Ecke essen. Zum Arzt will er jedenfalls nicht gehen, aus lauter Angst, der könnte ihn gleich in Quarantäne stecken. Genauer gesagt habe er auch eher Darm- als Lungenprobleme.
So konfus wie Zhou sind zur Zeit einige der rund 5.300 in Berlin lebenden Chinesinnen und Chinesen. Die Horrornachrichten aus dem Reich der Mitte, wo rund 120 Todesfälle eine Milliardenvolk in Panik versetzen, schicken ihre Schockwellen bis in die deutsche Hauptstadt.
Ein Chinese, der an einer Berliner Uni unterrichtet und nicht genannt werden möchte, kehrte erst vor fünf Tagen aus seiner Heimat zurück. Da er einen leichten Husten hatte, bekam er von den Berliner Behörden Hausarrest verordnet. Erst kommende Woche und nach Ausbleiben der Symptome, darf er wieder in die Öffentlichkeit.
Li Zhuang und ihre Tochter haben verzweifelt ihren 1.-Mai-Urlaubsflug nach Peking gecancelt. Der Ehemann, ein Berliner Geschäftsmann, war vor zwei Wochen vorausgereist. Nun machen sie sich große Sorgen um seine Gesundheit. Vor allem darum, ob er noch rechtzeitig aus der Pekinger Virenhölle entkommen kann. Denn die chinesische Gerüchteküche kommt hier per Internet und Telefon so heiß an, wie sie in der Heimat brodelt. Nach Schulen, Krankenhäusern und Bahnhöfen werde auch der Pekinger Flughafen in den nächsten Tagen geschlossen, erzählt man sich da.
Auch das Internet bietet in diesen Zeiten eine verwirrende Vielfalt von Nachrichten über „Sasi“, wie SARS mittlerweile umgangssprachlich auf Chinesisch heißt. Bei Berliner Chinesen, die anders als zum Beispiel Türken oder Araber, keinen ihrer heimischen TV-Sender empfangen können, dient daher das Internet als wichtiges Medium. Während sich chinesische Zeitungen nun seitenweise um objektive Berichterstattung bemühen, gärt in den Chatforen so manche Verschwörungstheorie. So wissen oppositionelle Kreise, das SARS-Virus sei aus Labors der chinesischen Armee entfleucht. Patriotische Auslandschinesen hingegen, SARS sei ein biologischer Kampfstoff aus US-Army Labors.
„So ein Unsinn“, echauffiert sich Chen Kang. Für ihn und seine Freunde an der Technischen Uni ist eindeutig, dass die Lungenkrankheit die Schwäche des chinesischen Ein-Parteien-Systems auf drastische Weise vorführe. Hätten die Medien der Volksrepublik rechtzeitig berichten dürfen, hätte die Infektionswelle rechtzeitig eingedämmt werden können.
Gestärkt aus der Katastrophe scheint nur die Traditionelle Chinesische Medizin, kurz TCM, hervorzugehen. „Die westliche Schulmedizin hat in dieser Frage nichts anzubieten,“ meint ein chinesischer Charlottenburger. Einige seiner Landleute haben sich chinesische Rauchkräuter besorgt, so genannte Moxibustion, und lassen diese in leeren Flaschen verglimmen. „Reinigt die Luft, stärkt die Abwehrkräfte und ist gut gegen die Hitze der Krankheit!“ Bei Berlins Praxen für chinesische Medizin sind die Sprechzimmer jedenfalls so voll wie immer. SARS spielt hier noch keine Rolle.
Anders bei einigen China-Restaurants. Bei Ausbruch der Krankheit in den Medien blieben im stets vollen „Good Friends“-Restaurant an der Kantstraße eine Woche lang die Woks kalt – doch nach Ostern war hier der Spuk vorbei. Seit dem verlassen Reisnudeln, Pekingenten und Süß-Saures wieder im Minutentakt die dampfende Küche.
Sorgen um die Einschleppung der Lungenkrankheit macht man sich bei der Berliner Geundheitsverwaltung keine. Die Information und Aufklärung der Reisenden aus China und anderen asiatischen Ländern sei Sache der Fluggesellschaften. Ankommende erhalten in Tegel und Schönefeld Informationsbroschüren des Berliner Robert-Koch-Institutes. „Wir können keine Amtsärzte an den Flughäfen einsetzen“, erklärt Roswita Steinbrenner, Sprecherin der Gesundheitsverwaltung. In Berlin gebe es ein funktionierendes Infektionsschutzgesetz und einen Seuchenalarmplan, der regelmäßig geübt werde, so dass alle Verantwortlichen wüssten, was in einem Notfall zu tun sei. Grund zur Sorge gebe es jedoch keinen. Noch sei in Europa kein Fall einer direkten Ansteckung bekannt. Insgesamt habe es in Deutschland bislang nur sieben Verdachtsfälle gegeben. Alle Berliner Ärzte seien zudem unterrichtet. Berlin sei sogar so gut ausgestattet, dass eine hochrangige chinesische Delegation in Berlin gewesen sei, um sich über Isolationstransporte von Seuchenerkrankten zu informieren. Das war im Februar.