: Bundeswehr sprengt alle Grenzen
Verdeckt vom rot-grünen Krach um die Sozialreformen plant die Koalition, den Auftrag der deutschen Armee zu ändern. Die neuen „verteidigungspolitischen Richtlinien“ bergen Zündstoff: Minister Struck will im In- und Ausland gegen Terror kämpfen
von LUKAS WALLRAFF
Wenn die Regierung auseinander bricht, dann über die Sozialreformen. Oder? Darum geht es doch auf den Sonderparteitagen von SPD und Grünen, darum wird doch jetzt gestritten. Selbst Christian Ströbele, der grüne Friedensaktivist, kümmert sich zur Zeit lieber um die Arbeitnehmerrechte als um Krieg und Frieden. So sehr hat sich das innenpolitische Interesse auf die Sozialagenda fokussiert, dass eine andere Zukunftsfrage in den Hintergrund rückte: die deutsche Verteidigungspolitik. Doch das dürfte sich bald ändern.
Noch sind sich scheinbar alle einig bei Rot-Grün. Niemand wollte den Irakkrieg, alle wollen die USA bremsen, alle wollen die EU und die UNO stärken. Doch welche Rolle soll die Bundeswehr künftig übernehmen, wo sollen die Soldaten eingesetzt werden? Diese Fragen wurden lange ausgeblendet, nun kommen sie auf die Tagesordnung – und bedrohen die rot-grüne Harmonie.
„In nicht ferner Zukunft“, wahrscheinlich schon Mitte Mai, wird Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) die neuen „verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr“ vorstellen. Dies teilte sein Sprecher am Wochenende mit. Mehr wollte er noch nicht verraten. Aus gutem Grund. Der Streit kommt früh genug. Schon die „Arbeitsentwürfe aus der ersten Phase der Erarbeitung“, die jetzt bekannt geworden sind, haben die Experten der Parteien hellhörig gemacht. Schon warnt der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Christian Schmidt, vor einer „Vernachlässigung der Landesverteidigung“, schon wehrt sich der grüne Experte Winfried Nachtwei gegen eine „Redogmatisierung der Wehrpflicht“.
Aber was plant Struck wirklich? Sollten seine „Arbeitsentwürfe“ auch nur annähernd umgesetzt werden, würden sie eine komplette Neuausrichtung der Bundeswehr bedeuten, gespeist aus folgenden Erkenntnissen: Der Feind steht nicht mehr im Osten, ein konventioneller Krieg in Deutschland scheint so gut wie ausgeschlossen, die eigentliche Gefahr besteht im internationalen Terror, die Bundeswehr muss weltweit einsatzfähig werden. Neu ist dabei weniger die Einschätzung der Weltlage. Neu ist vor allem, dass sie in Form von offiziell beschlossenen „Richtlinien“ konkrete Konsequenzen nach sich ziehen würde.
Strucks Stoßrichtung ist klar: Dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus soll fast alles andere untergeordnet werden. Künftige Einsätze der Bundeswehr, so heißt es in dem auffallend halbherzig dementierten Struck-Papier, ließen sich „weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen“. Damit ist offenbar nicht nur die Teilnahme an „multinationalen Operationen“ wie in Afghanistan gemeint. Auch an dem bisherigen Tabu des Bundeswehreinsatzes im Inland rüttelt das Ministeriumspapier kräftig. „Zum Schutz der Bevölkerung und lebenswichtiger Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen wird die Bundeswehr Kräfte und Mittel entsprechend dem Risiko bereithalten.“ Was damit genau gemeint ist, bleibt unklar – eine Grundgesetzänderung angeblich nicht, wie ein Struck-Sprecher eilig versicherte.
Fest steht nur: Für den geplanten grenzenlosen Antiterroreinsatz ist die Bundeswehr weder technisch noch personell bereit. Weil es mehr Geld kaum geben wird, soll eben an anderer Stelle gespart werden. Also heißt es in dem Papier kurzerhand, die bisher für die konventionelle Landesverteidigung eingesesetzten Kapazitäten würden „angesichts des neuen internationalen Umfelds nicht länger benötigt“. Alles wird also anders – nur eines bleibt: Die Wehrpflicht will Struck im Gegensatz zu den Grünen beibehalten.