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Archiv-Artikel

Müntefering schenkt den Linken Zeit

Nun doch nicht heute: Nach der Kritik der SPD-Rebellen verschiebt die Kanzlertruppe die Abstimmung über den Leitantrag für den Sonderparteitag. Der Fraktionsvorsitzende sieht Bedarf für Diskussionen – und glaubt nicht mehr an ein schnelles Ergebnis

aus Berlin HEIDE OESTREICH

Beim Seilziehen um die Agenda 2010 hat das Kritikteam der SPD-Linken minimal an Boden gewonnen. Erst machte Wirtschaftsminister Wolfgang Clement ein Schrittchen auf sie zu: Er kam dem Vorschlag der Linken entgegen, seine geplante Lockerung des Kündigungsschutzes nach fünf Jahren zumindest zu überprüfen.

Gestern dann bekannte der bisher standhafte Fraktionschef Franz Müntefering, dass zumindest der Zeitplan der Regierung ins Rutschen kommt. Eigentlich sollte der Parteivorstand heute die Agenda 2010 in Form eines Leitantrages für den Sonderparteitag am 1. Juni beschließen. Gestern aber sagte der Fraktionschef im ZDF, er gehe davon aus, dass der Antragsentwurf nicht abgestimmt werden könne, sondern dass noch mehr Zeit für Diskussionen nötig sei.

Im Deutschlandfunk meldete er sich mit einem Eingeständnis, das klang, als sei die Regierung mittlerweile arg ermattet: Die Diskussion über den Antrag werde „den ganzen Mai durch gehen,“ sah er voraus. Und, schon fast resignativ: „Ich glaube, was am 1. 6. beschlossen wird, wird sich erst am 1. 6. zeigen.“ Interessant, wenn von einem solchen Tagesbeschluss der Bestand der Regierung abhängen soll.

Zuvor hatten sich die Unterstützertruppen für die Linke noch einmal ins Licht gesetzt. „Die Grundrichtung stimmt einfach nicht,“ befand DGB-Chef Michael Sommer. IG-Metall und Ver.di kündigten für den ersten Mai massive Proteste an. Die Linken unter den Grünen erinnerten ebenfalls an ihre Opposition zu Schröders Agenda. Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele kündigte die verstärkte Zusammenarbeit zwischen den jeweiligen Fraktionslinken an. Partei- und Fraktionsspitze hatten sich dagegen hinter Schröder gestellt.

Schließlich droht heute im Vorstand der SPD noch weiteres Ungemach – aus dem Osten: Vor der Sitzung werden die SPD-Vorsitzenden der Ost-Länder sich auf Einladung des Infrastrukturministers Manfred Stolpe treffen. Sie werden wohl mindestens die Fortführung sämtlicher ABM-Programme in Ostdeutschland fordern.

SPD-Generalsekretär Olaf Scholz indes gab sich gestern überzeugt von der Kraft seiner Antragsbegründungen, die in ihrer Logik – so die Annahme – alle Kritiker zu Unterstützern machen werden. In den inhaltlichen Punkten blieb auch Franz Müntefering fest: So befand er am Wochenende, dass die Wiederbelebung der Vermögenssteuer, die zur Abwechslung diesmal der Braunschweiger SPD-Bezirksvorsitzende Siegmar Gabriel gefordert hatte, nicht auf die Agenda zurückkehren werde. Hart blieb er auch bei der Beurteilung seines Exparteivorsitzenden Oskar Lafontaine. Auf die Frage, ob er den Saarländer Privatier zum Sonderparteitag erwarte, meinte Parteisoldat Müntefering giftig: „Er war bisher immer feige, wenn’s drauf ankam.“