: „Großer Scherbenhaufen Rot-Grün“
Aktive Wirtschaftspolitik ist bei der Bundesregierung Fehlanzeige, meint die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. Statt Steuerentlastungen und Sparpaketen fordert sie ein 750-Milliarden-Investitionsprogramm. Und Soforthilfe für die Kommunen
aus Berlin BEATE WILLMS
Ist die rot-grüne Wirtschaftspolitik ein Ausbund an Konzeptionslosigkeit und Unsicherheit? „Das klingt noch viel zu positiv“, meint die Arbeitsgruppe „Alternative Wirtschaftspolitik“. Tatsächlich habe sich die Bundesregierung durch Trickserei und – schlimmer noch – Politikverweigerung hervorgetan. Sie halte an „längst gescheiterten Konzepten“ fest, die eine Rezession befürchten ließen. Unterschrieben haben dieses vernichtende Urteil, das im gestern vorgestellten „Memorandum 2003 – Krise im Schatten des Krieges“ untermauert wird, rund 800 Wirtschafts- und Sozialwissenschafter.
Auf eine eigene Konjunkturprognose verzichteten die Ökonomen bewusst. Die Vorhersagen der Wirtschaftsforschungsinstitute seien bereits so pessimistisch, dass sie „nach unten gar nicht mehr zu toppen seien“, sagte Ingo Schmidt, Professor an der FHTW Karlshorst in Berlin. Die Arbeitsgruppe sehe die Weltwirtschaft in einer „sehr labilen Situation“. Nach dem schnellen Verlauf des Krieges gegen den Irak sei abzusehen, dass das Vertrauen internationaler Anleger in die US-Wirtschaft steigt, dadurch aber werde ihr Leistungsbilanzdefizit weiter wachsen. Wenn der Weltkonjunkturmotor USA aber ins Stocken gerate, sei „derzeit nicht denkbar, dass Europa dafür einspringt“, so Schmidt. Die Europäische Zentralbank weigere sich, konjunkturpolitische Verantwortung zu übernehmen, wie es die US-Notenbank FED tut. Die Fiskalpolitik werde durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt, der „immer schon eine dumme Idee“ gewesen sei, zu sehr stranguliert.
„Mit dem Krieg ist eine beliebte Erklärung für den fehlenden Aufschwung weggefallen“, erklärte Norbert Reuter, Privatdozent an der RWTH Aachen. Dadurch träten eigene Versäumnisse umso klarer hervor. So sei die rot-grüne Steuer- und Finanzpolitik ein „großer Scherbenhaufen“. Jüngstes und keineswegs einziges Beispiel: das „Drama um das Steuervergünstigungsabbaugesetz“, das die geplanten Steuerentlastungen gegenfinanzieren sollte. Von 60 auf 10 Milliarden Euro schnurrte es zusammen – ohne dass Entlastungen zurückgestellt würden. Reuter: „Damit ist nur noch Schrumpfpolitik möglich, die keine Impulse mehr geben kann.“ Die aber würden gebraucht: Von den Unternehmen sind kaum Investitionen zu erwarten, der Konsum geht zurück. Statt die mangelnde Nachfrage zu kompensieren, sind die öffentlichen Investitionen auf den historischen Tiefststand von 1,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gefallen – die USA geben 3,4 Prozent ihres BIP für öffentliche Investitionen aus.
Die Arbeitsgruppe fordert nun eine Akuthilfe von insgesamt 50 Milliarden Euro für die Kommunen in den nächsten beiden Jahren. Und ein Gesamtinvestitionsprogramm. Über 10 Jahre sollen jährlich 75 Milliarden Euro in den Aufbau Ost, Bildung und Kultur sowie in ökologische Investitionen gesteckt werden. Kurzfristig müssten dafür Schulden aufgenommen werden. Mittelfristig könne das aber über Vermögens-, Börsenumsatz-, Spekulations- und Wertschöpfungsbesteuerung sowie die Abschaffung des Ehegattensplittings und die Bekämpfung von Steuerhinterziehung finanziert werden.