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Archiv-Artikel

Die Brückenbauerinnen von Chanakin

In der irakisch-kurdischen Stadt will ein Projekt die Rechte der Frauen stärken. Doch der Regierungsrat hat erst einmal die Scharia eingeführt

Die Frauen müssen wie gleichberechtigte Bürger behandelt werden

AUS CHANAKIN INGA ROGG

Es ist wie eine Reise in ein anderes Land und eine andere Zeit. Je weiter man vom kurdischen Suleimania nach Süden in Richtung Chanakin fährt, umso einsamer und ärmer wird die Gegend. Das kurdische Hügelland weicht allmählich einer weiten Ebene, die ersten Dattelbäume tauchen auf. Die Straße wird holpriger, am Straßenrand warnen rote Schilder vor der Minengefahr.

Bis vor knapp einem Jahr verlief kurz vor Chanakin die Demarkationslinie zwischen dem Saddam-Land und dem Kurden-Land. Irakische Soldaten sorgten dafür, dass sich das autonome Kurdistan mit seinen eigenen Regierungen und Institutionen nicht noch weiter ausdehnte. Heute haben diese Aufgabe Wächter der irakischen Zivilverteidigung mit Kontrollpunkten am Ortseingang übernommen. Die Wachen sind Kurden, doch über ihnen wachen Soldaten des 10. US-Kavallerieregiments. Sie haben in einem ehemaligen irakischen Armeelager Stellung bezogen, um zu verhindern, dass die kurdischen Peschmerga vollendete Tatsachen schaffen. Denn Chanakin soll, geht es nach dem Willen der Kurden, in den künftigen Bundesstaat Kurdistan eingegliedert werden.

Chanakin ist wie Kirkuk eine multiethnische Stadt, in der seit Jahrhunderten Kurden, Turkmenen und Araber leben. Und wie aus Kirkuk wurden auch aus der einige zehntausend Einwohner zählenden Stadt an der iranischen Grenze viele Kurden vertrieben. Wie dort gibt es auch hier schwelende Konflikte, aber anders als in Kirkuk ist es in Chanakin bislang nicht zu gewaltsamen Zusammenstößen gekommen. Dass das so bleibt, dafür will auch ein kleines Frauenprojekt sorgen.

In einem angemieteten Privathaus in der Stadtmitte hat das Beratungszentrum für Frauen ein Büro eingerichtet. Das Büro macht einen eher ärmlichen Eindruck. Einige Tische und Büromöbel sind das einzige Mobiliar. Neben ein paar Plakaten hängen an den Wänden Aufkleber der Arbeiterwohlfahrt, die das Projekt zusammen mit der deutschen Hilfsorganisation Haukari finanziell unterstützt. Zudem gibt es einen Computer, und darauf sind die sechs Frauen, die hier arbeiten, besonders stolz.

„Wir kannten Computer zwar aus der Theorie“, sagt die Leiterin Chanssa Hamsa. „Doch gearbeitet haben wir damit nie.“ Deshalb will sie in Zukunft auch Computerkurse für Frauen anbieten. Doch das sei eine Zukunftsvision, sagt die Politologin. Augenblicklich gehe es vor allem darum, Frauen in rechtlichen und Gesundheitsfragen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. An Arbeit mangelt es den sechs Mitarbeiterinnen nicht. Anders als im quirligen Suleimania, wo es seit Jahren Fraueninitiativen gibt, sind die Frauen in der Gegend um Chanakin oft auf sich allein gestellt. Zwar gab es auch hier wie überall im Land eine Niederlassung der Baath-Frauenorganisation. Doch bestand deren Aufgabe vor allem darin, Claqueure für das Regime zu mobilisieren.

Um die Bedürftigen zu erreichen, haben die Frauen ein Kriseninterventionsteam gebildet, das in die Stadtviertel und Dörfer fährt. Ihr Angebot umfasst akute medizinische Hilfe, aber auch Beratung in Gesundheitsfragen. „So stellen wir sicher, dass wir alle Frauen erreichen, ob sie nun Kurdinnen oder Turkmeninnen sind“, sagt Schilan Chalil.

Die Gräben überbrücken, dieses Motto gilt auch für das Zentrum selbst: Ihm gehören vier Kurdinnen und zwei Turkmeninnen an, drei sind Schiitinnen und drei Sunnitinnen. „Machen wir uns nichts vor“, sagt die energische Sozialarbeiterin. „Frauen stehen doch immer ganz unten.“

Das gelte besonders in rechtlichen Belangen, wirft die Rechtsanwältin Aschwak Abdulla Adhem ein. Nach bislang geltendem irakischem Recht wurden Mörderinnen mit dem Tod bestraft, Männer hingegen, die ihre Ehefrauen getötet haben, erhielten dafür eine maximale Haftstrafe von sechs Monaten. Auch beim Kindersorgerecht und bei Besitzstreitigkeiten nach Scheidungen wurden Frauen trotz gegenteiliger Gesetzeslage häufig benachteiligt. Mit regelmäßigen Sprechstunden will die Anwältin hier Abhilfe schaffen. Am liebsten würde sie, die ihr Haar züchtig unter einem Kopftuch versteckt hat, gleich die ganze Gesetzgebung reformieren.

In den Ohren des irakischen Regierungsrats muss das wie eine Kampfansage klingen. Denn dieser hat Ende Dezember das bisherige Personenstandsrecht abgeschafft und im Familienrecht das islamische Recht, die Scharia, eingeführt. Die Abstimmung war denkbar knapp, und einige der Ratsmitglieder waren gar nicht anwesend. Darin spiegelt sich ein Trend der vergangenen Monate: Konservative schiitische wie sunnitische Geistliche drängen darauf, Frauen aus dem öffentlichen Leben auszuschließen. Dabei schrecken ihre Anhänger auch vor Gewalt nicht zurück. Im Januar entging Nasrin Berwari, die einzige Frau in der Ministerriege, nur knapp einem Anschlag. Die kurdische Politikerin hatte zuvor während einer Demonstration in Bagdad den Ratsbeschluss scharf kritisiert und macht auch keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen den Kopftuchzwang.

Seit Wochen protestieren Frauengruppe und liberale Politiker gegen den Ratsbeschluss. Unterdessen hat Zivilverwalter Paul Bremer durchblicken lassen, dass er das Gesetz nicht autorisieren werde. Sollte der Rat bei seiner jetzigen Haltung bleiben, wäre dies der erste Vetofall. „Die Frauen müssen endlich wie gleichberechtigte Bürger behandelt werden“, sagt die Anwältin Aschwak von Frauenzentrum. Dabei kneift sie, die selbst tief gläubig ist, trotzig ihre großen Augen zusammen.