: Einfach mal das Maul halten
Die allgegenwärtige, permanente akustische Bedröhnung verätzt die Gehörgänge
Das Großstadtleben steckt bekanntlich voller Überraschungen, und manchmal tritt man sogar in eine. Und schon sind wir bei einem der ganz großen innerstädtischen Konflikte unserer Zeit, dem „Häufchenkrieg“ nämlich, jenem hartnäckig geführten Streit um hündische Hinterlassenschaften und ihre stinkenden und häufig auch teppichversauenden Folgen. Noch werden die Auseinandersetzungen zwischen Hundefreunden und Häufchengegnern überwiegend verbal ausgetragen. Angesichts einer stetig anwachsenden Gesamthäufchentonnage (allein in Berlin fallen täglich 40 Tonnen an) scheinen aber Handgreiflichkeiten künftig unvermeidlich. Jene Handgreiflichkeiten nämlich, die die Herrchen- und Frauchenmenschen endlich konsequent verrichten müssen, indem sie die Losungen ihrer Tölen frisch vom Trottoir kratzen, geruchssicher eintüten und in den Müll werfen. Andernfalls wird dieser Krieg eskalieren, und am Ende werden es die Hunde selbst sein, die man eintütet.
Indes scheint sich der Zwist um eine weitere Verschmutzung des öffentlichen Raums zu einem ähnlich harschen Konflikt auszuwachsen. Der Dreck, um den es dabei geht, stinkt nicht. Auch in ihn reintreten oder auf ihm ausrutschen kann man nicht. Man muss ihn nur ständig hören. Die Rede ist von jener akustischen Verschmutzung, wie sie einem durch beharrliche Musikberieselung immer verbreiteter aufgenötigt wird. Ob in Hotels, Restaurants, Taxis, Flugzeugen, Einkaufszentren, Fahrstühlen, Wartezimmern oder am Telefon. Überall spielt heutzutage unverlangt die Musik – oder besser die Muzak, wie dieser allerorten lärmende Klangbrei heißt. Ach, könnte man den doch wie ein Hundehäufchen in Tüten stopfen und der nächsten Muzak-Tonne zuführen.
Wenn’s denn so einfach ginge. Mehr noch: Die Plage der ständigen musikalischen Bedröhnung muss erst mal als Belästigung wahrgenommen werden. Zu stark hat die allgegenwärtige Dröhnung unsere Gehörgänge offenbar schon verätzt. Das vermutet jedenfalls „Pipe Down“, die internationale Kampagne gegen aufgezwungene Musikberieselung. Ihr deutscher Ableger heißt „Lautsprecher aus! e. V.“, ist ein gemeinnütziger Verein für das Recht auf Stille und hat, unterstützt von prominenten Krachopfern wie Vladimir Ashkenazy, Justus Frantz, Kurt Masur, Ingo Metzmacher, Helmut Schmidt, Gert Westphal und Wilhelm Wieben, dem muzakalischen Dauergetöse den Krieg erklärt. Ihre Kriegsziele sind:
– Generelle Anerkennung des Wunsches nach Stille, Lockerung der Ablehnungssturheit
– Verzicht auf Beschallung solcher Stätten und Einrichtungen, welche jeder unvermeidlich aufsuchen oder nutzen muss
– Nicht in den vor Staunen weit geöffneten Mund des Gastwirts oder Geschäftsführers blicken zu müssen, sondern kopfnickende Bereitschaft, die Musik auf Verlangen eines Kunden für die Dauer seines Aufenthaltes auszuschalten
– Lücken in der Beschallungsdichte, stille Nischen, einzeln abschaltbare Lautsprecher
Der heutige 30. April wurde von Pipe Down zum „International Noise Awareness Day“ ausgerufen, zum internationalen „Tag der Stille“. Deshalb gelten die Grundsätze von „Lautsprecher aus! e. V.“ heute noch ein bisschen mehr als sowieso schon: „Bitte ausschalten! Musikberieselung nicht immerfort an jedem Ort! Stille ist ein menschliches Anrecht. Musik setzt Freiwilligkeit voraus und darf niemandem aufgenötigt werden. Geben Sie uns Ihre Stimme! Treten Sie mit uns in Verbindung!“ Aber bitte nicht zu laut.
FRITZ TIETZ
Kontakt: Lautsprecher aus! e. V., Dorfstraße 11, 25482 Aspen-Etz