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Archiv-Artikel

Die Lehrer – Oberjammerer und bestochene Stillhalter

Markus Orths’ „Lehrerzimmer“ gibt die Mechanismen des Beamtenapparats Schule dem Gelächter preis. Dennoch sind es Lehrer, die ihn empfehlen

„Lehrerzimmer“ witzig zu finden, ohne zu gehen, offenbart den Lehrer-Masochismus

Deutschlands Beamten-Lehrer nennen ihr Gehalt gerne Schweigegeld. Im Jargon natürlich nur. Hinter vorgehaltener Hand gestehen sie sich ein, dass sie letztlich ihr Geld bekommen, um von den Verhältnissen in der Schule zu schweigen.

Nach draußen dringt diese verzweifelt-ironische Bezeichnung kaum. Sie populär zu machen, hieße ja nur, sich neben dem Etikett „Oberjammerer vom Dienst“ auch noch das eines „bestochenen Stillhalters“ anzuheften. Man schweigt sich aus. Lehrer wissen: „Schüler kommen und gehen, das Gehalt bleibt.“ In der Tiefgarage rufen sie sich zu: Nur noch siebzehn Jahre! Irgendwie geht die Zeit bis zur Pensionierung schon rum. „Bei zweitausend Mark netto im Monat beginnt leise die Gegenaufklärung“, schreibt Peter Sloterdijk. Schon ein Junglehrer bekommt mehr. Und zwar in Euro. Netto. Lebenslang.

Ein Wissen, das nicht nach draußen dringen soll, öffentlich zu machen, war schon je das Programm politischer Aufklärung. Nun liegt ein satirischer Roman vor, der dies anspielungsreich und theatresk tut. Markus Orths’ „Lehrerzimmer“ setzt den verbeamteten Apparat Schule so in Szene, dass der Leser unter Gelächter seine Mechanismen durchschaut.

Orths übertreibt gerade so viel, dass die Wahrheit über das Lehrerbeamtentum umso deutlicher wird. Der Ich-Erzähler berichtet, wie er frisch examiniert auf den Anruf des Oberschulamts wartet, das ihm die ersehnte Lebensstellung verkünden soll. Niemand anderes darf es wagen, ihn anzurufen. Weder seine Freunde noch seine Mutter. Das Essen lässt er sich per Lieferservice kommen, um ja nichts zu verpassen. „Ich erinnerte mich oft an die Horrorgeschichten, die man sich im Kurs über die wenigen Menschen erzählt hatte, die im Anrufzeitraum nicht erreichbar gewesen waren: eine tollkühne Verantwortungslosigkeit sich selbst und dem eigenen Leben gegenüber“, so berichtet er. „Ich malte mir aus, was geschähe, würde ich den Anruf verpassen: ein Leben unter Brücken, Nächte in einem Obdachlosenheim, Verzweiflung, Grauen, Kälte.“

Als der Anruf endlich da ist, nimmt der Wahnsinn seinen Lauf. Dem peinlichen Einstellungsverhör durch den Direktor eines Göppinger Gymnasiums folgen witzig montierte Szenen aus dem Lehreralltag: Warteschleifen vor dem Kopierer, eine spektakuläre Lehrprobe, Kreisdiskussionen auf Konferenzen, Folterungen genannt. Und dazwischen immer wieder die alles überschattende Angst vor dem Verlust des Schulschlüssels – eine Angst, ohne welche die Lehrergewerkschaft wohl nur noch Mitglieder im Alter von fünfzig aufwärts hätte. Ehe der Ich-Erzähler sich versieht, findet er sich wieder zwischen den alltäglichen schulischen Intrigen- und Bespitzelungsritualen, zwischen Oberschulamtspolizisten und Geheimen Sicherheitsbeamten. Schon am ersten Tag gerät er in die „KG“, eine konspirative Gruppe aus drei Lehrern, „die sich zum Ziel gesetzt hatte, das geltende Schulsystem zu unterminieren. Jedoch nicht wirklich, wie man sogleich einschränkte, da man den eigenen Arbeitsplatz keinesfalls ernsthaft würde aufs Spiel setzen wollen, sondern lediglich, wie man sagte, verbal“.

Verbale KG: Das heißt, die Lehrer treffen sich in einer Kneipe, schwadronieren bis in die frühen Morgenstunden, um dann so betrunken wie ängstlich wieder ihren Dienst in der Schule zu versehen. Dort lässt ein großartiger Direktor „Höllinger“ zum Verhör rufen. „Man könne, sagte der Direktor, vier Säulen unterscheiden, auf welche das Schulsystem sich stütze: Die Säulen nenne er Angst, Jammer, Schein und Lüge.“

Man muss es den Lehrern irgendwie zugute halten, dass gerade sie „Lehrerzimmer“ weiterempfehlen. Häufig tun sie es mit den Worten, es handle sich „um eine Groteske über unseren Beruf“. Die Formel von der Groteske deutet, obgleich treffend, Distanz an. Der Roman „übertreibt“, er sei „bitterböse“, so erzählen sich Studienräte, nicht ohne an Thomas Bernhards Stil zu erinnern. Den Roman aber witzig zu finden und dennoch nicht zu kündigen, verweist auf eine masochistische Grundierung einiger Lehrerpsychen.

Die meisten Lehrer sind nämlich davon überzeugt, dass unsere Schulen nicht mehr funktionieren. Sie seien nur noch Verwahranstalten, um die Alltagsorganisation Erwachsener zu gewährleisten. Überfüllte, lärmende Klassen, Burn-out etc.pp. Man kennt das ja mittlerweile, auch wenn man nicht Lehrer ist. Seit der „Großen Studie“ weiß man es auch irgendwie.

Dass sich trotzdem nichts ändert, zeigt: Die Lehrer haben noch mehr zu verschweigen. Das tranceartige Weiterfunktionieren des schulischen Beamtenapparates, der opiatähnlich jede Veränderung der deutschen Schule verhindert. Die Altachtundsechziger haben sich resigniert eingerichtet. Und der im Kohl-Biedermeier groß gewordene Nachwuchs sehnt sich nur nach einem gesicherten Einfamilienhausdasein. NILS B. SCHULZ

Markus Orths: „Lehrerzimmer“, Schöffling & Co, Frankfurt a.M. 2003, 18,50 €