: Bush schaltet um
Der Irakkrieg wird in den USA kaum mehr hinterfragt. Jetzt wird die Innenpolitik wieder wichtig
aus Washington MICHAEL STRECK
US-Präsident George W. Bush will am Donnerstag das Ende des Krieges im Irak verkünden. Er wird nicht von „Victory“ sprechen, selbst er weiß, dass der Frieden noch längst nicht gesichert ist. Doch Washingtons Hardliner haben den Krieg bereits als Sieg verbucht. Nach dem Fall Bagdads materialisiert sich ihre Dominotheorie in ersten Zügen. Nordkorea schlägt Lösungen zur Beendigung der Atomkrise vor. Syrien ist zur Wiederaufnahme von Friedensgesprächen mit Israel bereit. Die Palästinenser wählen ihren ersten Premierminister. Und die arabischen Völker haben sich auch nicht zu einem gewaltigen antiamerikanischen Protestschrei vereint.
Der Irakkrieg ist aus US-Sicht ein voller Erfolg. Er war kurz und für die Amerikaner vergleichsweise schmerzlos – eine Blaupause für zukünftige Einsätze, die die Welt lehren soll: Wir können es wieder und überall. Vergessen ist inzwischen, dass es einmal um Massenvernichtungswaffen ging und um Iraks angebliche Verbindung zu al-Qaida.
Bislang wurden im Irak weder chemische noch biologische Waffen gefunden. Regierungsvertreter geben bereits unverblümt zu, dass sie wahrscheinlich auch nicht mehr zu finden seien. Die trickreiche Begründung: Die frühere irakische Regierung habe sie zerstört. Doch die USA hätten wieder mal die entsprechenden „Beweise, die wir gerade sammeln, die zeigen, dass sie einige unmittelbar vor dem Krieg zerstört haben könnten“, sagte der Präsidentensprecher.
Selbst Thomas Friedman, streitbarer Kolumnist der New York Times und lange Kriegsgegner, ist plötzlich der Ansicht, die entdeckten Massengräber im Irak würden allein Kriegsgrund genug sein. Ob jetzt noch Nervengas gefunden werde oder nicht, sei letztlich zweitrangig.
Thema Nummer eins auf der Tagesordnung im Weißen Haus wurde über Nacht wieder die Innenpolitik. An der Heimatfront wird die Wahlschlacht entschieden, und an der sieht es momentan eher düster aus. Hatte der Krieg drängende Probleme wie das marode Gesundheitssystem, die lahme Wirtschaft, hoffnungslose Verschuldung vieler Kommunen und hohe Arbeitslosigkeit völlig verdrängt, muss Bush zumindest Rezepte zur Lösung anbieten, soll ihn nicht das Schicksal seines Vaters ereilen. So tourt er durch die Lande und empfiehlt als Allheilmedizin seine gigantische Steuersenkung. An Saddam Husseins Geburtstag am Montag besuchte er eine der größten irakischen Exilgemeinden in den USA im Bundesstaat Michigan. Dort ließ er sich feiern und wiederholte sein Mantra von der Demokratisierung des Irak.
Wenn es um Bushs Feldzug für Freiheit im Nahen Osten geht, offenbart jedoch die Realpolitik gegenüber zwei strategisch wichtigen Partnerländern Einblicke in die Handlungsweise der US-Regierung jenseits aller Rhetorik. Obwohl die Allianz zu Saudi-Arabien nach dem 11. September erheblich belastet war, gewährten die Saudis den Amerikanern fast alle Wünsche für ihre militärischen Pläne. Wenig Interesse zeigt das Weiße Haus an freien Wahlen in Saudi-Arabien, stattdessen setzt man weiterhin auf die autokratische Führung in Riad als Garant für den ungehinderten Zugang zu den weltgrößten Ölressourcen.
Die reibungslose Zusammenarbeit mit den Saudis steht in Kontrast zu den turbulenten Beziehungen mit der Türkei, dem Land, das von der US-Regierung so gern als Modell für eine säkulare moderne Demokratie in der muslimischen Welt gepriesen wird. Seit das türkische Parlament den USA die Eröffnung der Nordfront verweigerte, zeigt das Weiße Haus Ankara die kalte Schulter. Den Saudis bietet das Pentagon als Belohnung für ihre Unterwürfigkeit die Verringerung der US-Streitkräfte im Wüstenstaat an. Diese Geste ist jedoch vermutlich praktischen Erwägungen geschuldet. Die Generäle arbeiten an einer flexiblen weltweiten Einsatzstrategie, in der nicht mehr voll ausgestattete, viel zu teure Militärbasen, sondern lediglich nutzbare Infrastrukturen eine Rolle spielen. Die Ankündigung, keine US-Stützpunkte im Irak errichten zu wollen, passt in dieses Konzept. Allein der Zugang ist entscheidend. Der ist jedoch nur bei einer US-freudlichen Regierung in Bagdad sicher.
Vorerst sehen sich die USA im Irak einem Dilemma ausgesetzt. Sie stellen fest, dass es Jahre brauchen wird, eine demokratische Gesellschaft zu errichten. Sie erleben bereits jetzt die Ungeduld der Iraker. Daher treiben sie die rasche Bildung einer Übergangsregierung voran und glauben, dieses Ziel innerhalb eines Monats erreichen zu können. Nahostkenner warnen, dass eine nicht in Ansätzen halbfertige Transformation den Keim des Scheiterns in sich trägt. Warum also die Eile und den Rest der Welt ausschließen, fragt selbst die konservative Washington Post und resümiert: „Der vielversprechendste Weg ist, den irakischen Wiederaufbau zu einem multilateralen Projekt zu machen, gestützt von der UNO.“
Diese Haltung favorisiert auch das US-Außenamt und muss bittere Kritik aus dem Pentagon einstecken. „Dieser Zusammenprall ist epochal. Es geht darum, ob Amerika durch Angst, Aggression und Gewalt führen will oder durch Diplomatie, Verhandlung und als Vorbild“, schreibt Maureen Dowd in der New York Times. Momentan hat das Pentagon die Oberhand. Vielleicht sollte sich die US-Regierung den Rat des früheren polnischen Verteidigungsministers Janusz Onyszkiewicz – immerhin Vertreter des „neuen Europas“ zu Herzen nehmen: „Die US-Militärmacht ist ein Hammer, doch nicht jedes Problem ist ein Nagel.“