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Archiv-Artikel

Neue Platten Schon das Knarren einer Tür kann die schönste Musik sein. Mit „Melke“ empfiehlt sich Kim Hiorthøy für das Genre Wunderkammer-Ambient

Kim Hiorthøy: „Melke“ Smalltown Supersound/Zomba

Vielleicht muss man sich Kim Hiorthøy als ein Spielkind vorstellen, als einen Daniel Düsentrieb der Musikverfertigung, der einfach den einen Ton dahin legt, einen anderen Klang darauf sattelt, es gibt eine kleine blaue Stichflamme, und alle sind sie glücklich miteinander. Die gerade frisch erfundene Musik und der Zuhörer. Der Schöpfer schaut dem Treiben wahrscheinlich ganz gelassen zu.

Seinen Wohnsitz hat der Norweger derzeit in Kreuzberg, mit einem Stipendium für Grafikdesign, ansonsten treibt sich Kim Hiorthøy in der freigeistigen Welt der Soundbastler herum. Er remixte die japanische Krachmaschine Merzbow, trat gemeinsam mit dem Experimentalgitarristen David Grubbs in der Knitting Factory auf, spielte im vergangenen Jahr beim „The Wire“-Festival in Chicago. Was alles eine doch beeindruckende Referenz-Liste ergibt, die man aber schon beim ersten Reinhorchen in sein neues Albums „Melke“ versteht.

Ein Werkstattbericht. Sammlung von Singles, Remixen, verschiedenen Archivalien und Beiträgen für Kompilationen. Alltagsgeräusche tanzen hier den Gummitwist in Loops, Spieldosenbeats werden untergemischelt, behutsam die Töne von Klavier, Geige oder Gitarre hineingesetzt. Leichtherzige Reflexionen über Minimal-Music, Etüden über die Erkenntnis, dass Jazz gar nicht verbiestert sein muss, und alles funktioniert exakt so, wie es der erste Tracktitel der Platte verheißt: „Door opens both ways“. Das ist was für das Nebenbeihören und für die konzentrierte Musikaufnahme, das präzise Zuhören, wie man gerade lustig ist. Also ganz im Sinne von Saties „Musique d’Ameublement“ oder Enos Ambient-Konzepten. Nimmt man in diesen Kreis noch Aphex Twin auf, hat man den elektronischen Tanzboden, auf den sich Kim Hiorthøy gern begibt und den er genauso gern auch wieder freimütig verlässt. Wie er gerade will.

Lieblichkeit kommt mit knarzenden Tönen daher, ohne dass das eine dem anderen die Krücke wäre. Sondern so zwanglos, als hätten sie schon immer zusammengehört, wie überhaupt die Musik nicht den Strategien einer steten Widerrede von Experiment/Konvention folgt. Das wäre nichts, was diese Musik beweisen möchte. Sie trägt auch nicht gleich die eigenen Thesen im Aktenkoffer mit sich herum, sie ist sich selbst als Begründung gut genug.

Was für wunderbare Unangestrengtheit sorgt. Jedenfalls hat Kim Hiorthøy genau die Zärtlichkeit im Blick auf seine Klänge, wie man eine Schneekugel in die Hand nimmt, um die Flocken durcheinander wirbeln zu sehen. Wer jetzt aber mit den bis hier aufgesammelten Stichworten – Lieblichkeit, Spieldosen, Schneekugeln – der Meinung sein sollte, dass er einen Richard Clayderman der Elektronika bekommt, weil scheinbar das Schroffe fehlt, der hat sich ganz schön tief geschnitten. Auf „Melke“ hat sich nichts Häkeldeckchengemütliches eingerichtet, die Musik lullt keine Wattepfropfen in die Ohren. Sie klingt nur einfach so, als ob das Kettenkarussell gerade erfunden worden sei. In diesem Moment. Ganz gegenwärtig. „Melke“ steht ab 1. März in den Läden. THOMAS MAUCH