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Archiv-Artikel

Friss, Vogeler, oder stirb

Fleisch, nasser Torf, ein ausgeweideter Künstlerkadaver: Gewohnt drastisch erzählt Johann Kresnik im Schauspielhaus die Geschichte von Heinrich Vogeler, der sein Worpsweder Idyll verließ, um den Sowjetsozialismus mit aufzubauen. Denn: „Die Bremer sind große Schafe.“

Schwarz glänzt der Flügel, in seinem offenen Corpus grünt ein Kasten Beck’s, verführerisch windet sich die schöne Frau im roten Samtkleid unterm Instrument hervor. Ein Werbefilm? Nein. Johann Kresniks Inszenierung von „Vogeler“ im Bremer Schauspielhaus.

Kresnik statt Interbrew: Klar, jetzt reibt die Tänzerin (Agnieszka Samuel) ihren Körper an einer riesigen Speckschwarte, der Pianist hämmert auf den Boden des Foyers, eine Kette klirrt. Drinnen: Noch mehr Metall. Ein gewaltiger Stahlrahmen zieht den Raum in die Diagonale. Auf dem Boden Torf, Leichensäcke, über allem ein vielstimmiges „Agnus Dei“, das existentielle Erwartung schafft.

Krach. Schon knallt es vom Bühnenhimmel herunter, nicht das Lamm Gottes, aber der Kadaver des Heinrich Vogeler – der sofort ausgeweidet wird. Lange Dolche hacken ins Fleisch, die sinistren Gestalten, mittlerweile aus den Säcken geschält, reißen sich um Niere, Herz und Rippen. Nach dem Vorspiel auf der Vorstandsetage für Produktplacement also der Prolog im Gruselkabinett – dann kann der Tragödie erster Teil beginnen.

Kresnik macht Krach, wo er kann, hat Spaß an Splatter, lässt manches Bild von der Groteske ins Comichafte kippen. Aber immer erzählt er, erzählt zügig die Entwicklung des Kriegsfreiwilligen bei den „Oldenburger Dragonern“ zum Pazifisten, Vogelers politisch motivierte Einweisung in die Osterholzer Nervenklinik zur „Beobachtung des Geisteszustandes“.

Den Weg vom beliebten Jugendstilkünstler, der mit der Güldenkammer im Rathaus die gute Stube des hanseatischen Bürgertums gestaltet, zum Worpsweder Arbeiter- und Soldatenrat. Zum Gründer der kommunistischen Künstlerkommune Barkenhoff, der sein Anwesen schließlich der „Roten Hilfe“ als Kinder-Erholungsheim übergibt und mit den Worten in die Sowjetunion geht: „Die Bremer sind große Schafe.“

Kresnik, lange Jahre Leiter des Bremer Balletts beziehungsweise Tanztheaters, hat mit Goya, Francis Bacon oder Picasso schon eine ganze Reihe von Künstlerbiographien inszeniert. Nun liefert er den Bremern sozusagen ein heimatliches Drama. Dessen Bremensien-Anteil – Kinderbanden im Bürgerpark, Hochwasser an der Wümme, eine Sahnetorte als Symbol für Worpswede – schafft seltsam anmutende Inseln der Vertrautheit inmitten des wahnwitzigen Bühnengeschehens.

Das Material, dass der Berliner Autor Christoph Klimke zum Libretto zusammengezogen hat, stammt aus Vogelers Briefen und Manifesten sowie Zitaten etwa von Ricarda Huch, Frida Kahlo, Brecht, Heiner Müller oder Jo-seph Beuys – der in Vogeler immer einen ideologischen Vorgänger sah.

Eine kompakte Collage, ein großartiger Torsten Ranft in der Hauptrolle – wenn nur die altbackenen chorischen Aktionen nicht wären. Immer wieder muss das Ensemble zum Menschencluster mutieren, der als Repetiermaschine einzelne Phrasen echot. Oder als Hundehaufen am Kapitalistenzügel des Ludwig Roselius über die Bühne hecheln. Das sind nicht gerade die frischesten Ideen aus dem Fundus eines innovativen Inszenierungs-Repertoires, sondern sich selbst treu bleibende Kresnikiaden. Der Altmeister scheut auch nicht davor zurück, Bettwäsche mit Hammer und Sichel zu dekorieren, um Vogelers erste Beziehung zu einer kommunistischen Frau sinnfällig(st) zu machen.

Trotzdem: Oft genug dürfen starke Bilder starke Bilder bleiben – ohne durch stete Steigerung zu implodieren. Eindrucksvoll bleiben nicht zuletzt die Auftritte der rotgewandeten (oder gar nicht gewandeten) Tänzerin, die Vogelers Leben begleitet: mal als bedrängender Dämon, mal als Geliebte – als Muse namens Sozialismus. „Er hat den Marxismus umworben wie eine heimliche Geliebte“, erzählt eine der zahlreichen für Vogelers Leben wichtigen Frauen.

Anfangs hat ihn auch die Sowjetunion umworben. Bis 1942, als Stalin den Maler ins kasachische Exil schickte, wo er jämmerlich starb. Was bleibt von ihm bei Kresnik? Ein Haufen nasser Torf, umgestürzte Staffeleien. Fleischfetzen. Ein prall erzähltes Leben.

Henning Bleyl

Aufführungen bis Ende der Spielzeit: Heute, 9. Mai, 1. und 24. Juni sowie 5. Juli jeweils um 20 Uhr. Kartentelefon: (0421) 36 53 333. Am 18. Mai ist der Vogeler-Sohn Jan zu Gast bei einer Matinée im Schauspielhaus (11.30 Uhr)