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Archiv-Artikel

Krawall braucht es doch

Am Abend des 1. Mai kommt es zu Ausschreitungen in Kreuzberg. Zwei linke Demos zuvor mit insgesamt 15.000 Teilnehmern blieben friedlich. Schon in der Walpurgisnacht kam es zu Randale

von FELIX LEE, PLUTONIA PLARRE, RICHARD ROTHER und CEM SEY

In Kreuzberg ist es am Abend des 1. Mai großflächig zu Ausschreitungen gekommen. An der Ecke Skalitzer/Mariannenstraße setzten Randalierer mehrere Autos in Brand. Am Heinrichplatz wurde ein Pkw umgeworfen.Wenig später flogen Steine und Leuchtraketen in Richtung Polizei und auf unbeteiligte Passanten. Eine Hundertschaft der Polizei begann, die Mariannenstraße bis zum Heinrichplatz zu räumen. Mehrere Personen wurden Augenzeugen zufolge in Gewahrsam genommen. Gegen 21 Uhr werden alle folgenden Veranstaltungen auf dem Mariannenplatz abgesagt, darunter der Auftritt des türkischen Hip-Hop-Stars Haluk Levent. Grund: Die Polizei braucht das Feld, um gegen die Randalierer zu agieren. Alfred Markowski, Gesamteinsatzleiter der Berliner Polizei, sagte: „Phase 2 ist eingeleitet, alle Veranstaltungen werden abgesagt.“ Die Organisatorin von „MyFest“, Cornelia Reinauer, Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, ist enttäuscht.

Bereits am Vorabend hatte es nach einer Walpurgisnacht-Party im Mauerpark in Prenzlauer Berg gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben. Rund 6.000 Menschen, meist Jugendliche, hatten zuvor friedlich um mehrere Maifeuer gefeiert. Nach Flaschenwürfen um Mitternacht räumte die Polizei den Park. Dabei gab es zumindest in den Reihen der Polizei – für die Teilnehmer liegen keine Zahlen vor – deutlich weniger Verletzte als vor einem Jahr: 29 statt über 80. Die Zahl der Verhaftungen stieg hingegen von 34 auf 97.

Auf den Demonstrationen des gestrigen Tages standen zunächst die aktuellen Reformpläne auf Bundes- und Landesebene im Mittelpunkt. Bei der Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) am Roten Rathaus griffen Gewerkschafter die geplanten Einschnitte scharf an. Die Vorschläge von Bundeskanzler Schröder bewegten sich „in der Gedankenwelt der Neoliberalen“, sagte Rolf Steinmann, Bundesvorständler der IG BAU. Die Tarifpolitik des rot-roten Senats nannte er unter dem Beifall der rund 20.000 Teilnehmer „eine einzige Provokation“.

Beim NPD-Zug zum Olympiastadion mit knapp 1.200 Teilnehmern kam es laut Polizei zu „kleinen Rangeleien“. Etwa 300 Gegendemonstranten aus dem linken Spektrum versuchten, den Aufmarsch zu stören. Anschließend reinigten gut 150 Menschen die Demo-Strecke symbolisch von braunem Denken.

Die so genannte 15-Uhr-Demo der Antifaschistischen Linken Berlin startete erst mit fast zweistündiger Verspätung vom Oranienplatz. „Scharon, Terrorist – George Bush, Terrorist“, schallte es aus den Lautsprechern. Nicht mal aggressive Redebeiträge, die zum Umsturz des kapitalistischen Systems rufen, stachelten die rund 10.000 Teilnehmer an. Behelmte Beamte waren nur in den Nebenstraßen zu sehen. Fahnen mit Mao-, Lenin- und Marx-Porträts sowie Palästinenserfahnen prägten das Bild. Erstmals seit langem hat es die zersplitterte Szene geschafft, wieder eine gemeinsame Demo zu organsieren. Nur ein Symbol fehlte: die Israelfahne. Die war umso zahlreicher bei der zweiten „revolutionären 1.-Mai-Demonstration“ um 18 Uhr zu sehen. Am frühen Abend hatten sich dazu rund 2.000 eher jungschicke, linke Gymnasiasten und Studenten am Rosa-Luxemburg-Platz versammelt. Beide Demos blieben bis zum Schluss friedlich.