: Hilfe für den überlasteten Kunden
Immer mehr Entscheidungen vor dem Kauf verlangen dem Verbaucher immer mehr ab. Renate Künasts verbraucherpolitischer Beirat verlangt deshalb eine konsequente Stärkung der Konsumenten gegen die Übermacht der Produkthersteller
von MATTHIAS URBACH
Impulsiv, überlastet und inkompentent – so skizzieren Gutachter den Verbraucher. Im Auftrag von Ministerin Rentate Künast soll nun ein „Wissenschaftlicher Beirat für Verbraucher- und Ernährungspolitik“ „Grundsätze“ zur Verbraucherpolitik“ erarbeiten, um eine gesellschaftliche Debatte vorzubereiten. Als Ergebnis will Rot-Grün im Herbst eine „Verbraucherpolitische Gesamtstrategie“ vorlegen.
Das ist ein ehrgeiziges Ziel. Ein Vierteljahrhundert habe sich Deutschland im verbraucherpolitischen Tiefschlaf befunden, wie der Beiratsvorsitzende Professor Hans Micklitz bei der Übergabe des Gutachtens betonte. Deshalb war es wohl keine schlechte Idee, die Debatte wissenschaftlich einzuleiten.
Schon das Bild vom Verbraucher hat direkten Einfluss auf die Politik. Ging man in Deutschland lange Jahre vom „hilfe- und schutzbedürftigen Konsumenten“ aus, so wandelte sich das Bild auch unter EU-Einfluss hin zum „klugen, gut informierten Verbraucher“, der sich auch im rot-grünen Koalitionsvertrag als Leitbild findet. Nur: So ist der Verbraucher nicht. Wie Künasts Beirat ausführt, sind Verbraucher nur selten gut informiert. Meist kaufen sie unter Zeitdruck, inkompetent und desinteressiert. Aus Gewohnheit besorgen sie gerne stets dasselbe oder kaufen aus Frust irgendetwas.
Wo zahle ich meine Rente ein? Über wen führe ich mein Ortsgespräch? Woher beziehe ich Strom? Die Flut der Entscheidungen quält die Konsumenten, die Folgen ihrer sprunghaften Entscheidungen kriegen nicht nur sie selbst, sondern auch die Anbieter zu spüren. So ließ die bloße Umstellung des Preissystems beim Quasimonopolisten Bahn die Umsätze einbrechen. Aber das Risiko von Fehlentscheidungen wächst auch für die Verbraucher. Die falsche Rente kann den Lebensabend ruinieren. Gleichzeitig wachsen die Wünsche der Politik. Verbraucher soll nachhaltig konsumieren, ist doch ein Drittel aller Umweltprobleme konsumbedingt.
Idealisierten Leitbildern und überhöhten Ansprüchen setzen die Künast-Gutachter „Schutz und Eigenverantwortung“ entgegen – gemäß der psychologischen Erkenntnis, dass, wer Schutz erfahre, auch eher zu verantwortlichem Handeln bereit sei. Aber um entscheiden zu können brauchen die Kunden Information. Hier verlangt der Beirat mehr – von Behörden genauso wie von Unternehmen.
Trotzdem bleibt nach Einschätzung der Gutachter auch der informierte Kunde letztendlich rechtlich im Hintertreffen. Schließlich ist er ein „Einmal-Prozessierer ohne Rechtsabteilung“. Mehr als schärfere Gesetze würden den Kunden ein ausgefeiltes Verbandsklagerecht und eine bessere Produkthaftung der Hersteller helfen.
Auch die Verbraucherzentralen bleiben nicht ungeschoren: Von ihnen wünschen sich die Gutachter mehr Informationen zum sozial-ökologischen Verhalten der Unternehmer. Auch „das Testwesen“ soll sozialen und ökologischen Kriterien künftig mehr Raum geben. Dabei gehen die Gutachter nicht davon aus, dass mehr Verbraucherschutz der Wirtschaft bloß das Leben schwer mache. Eine moderne Verbraucherpolitik habe schließlich auch die Aufgabe, Überregulierung abzubauen, und fördere Innovation durch die Stärkung von Lebensdauer, Qualität und Sicherheit von Produkten. Das stärke die Wirtschaft im globalen Wettbewerb. Und auch der Staat spare Geld, wenn er privaten Insolvenzen vorbeuge.
Solche Argumente wird die grüne Verbraucherministerin Renate Künast brauchen, wenn sie kommende Woche die Eckpunkte der neuen Strategie mit ihrem „Aktionsplan Verbraucherschutz“ vorstellen will. Denn der Widerstand wird stark sein.