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Archiv-Artikel

Schwärzer als jeder andere

von JONATHAN FISCHER

Seine Karriere als Boxer währte nicht lang. Drei verlorene Kämpfe – und James Brown warf das Handtuch. Doch wem sonst als dem „hardest working man in show business“ könnte man das Herz eines Boxers bescheinigen? Selbst schwer wiegende Steuerprobleme, Knastaufenthalte und Schmähsongs konnten ihm nicht den Enthusiasmus rauben, auch noch mit 70 Jahren regelmäßig auf der Bühne zu stehen. Zu stehen? Nein, die „Mashed Potatoes“ zu steppen, im „Moon Walk“ zu gleiten oder gar einen Spagat anzudeuten. Das Movens solch eines Lebens in einer chronologischen Geburtstagsrede würdigen – das hieße wohl „Talkin' loud and sayin' nothing“. Dann doch lieber eine Jukebox zusammenstellen, mit den Songs, die James Brown zu einem der widersprüchlichsten Helden Amerikas gemacht haben.

I KNOW YOU GOT SOUL

Als Eric B & Rakim diesen Song 1986 sampelten, tanzte die HipHop-Gemeinde zu James Browns Musik, ohne dass dessen Name auf der Plattenhülle auch nur auftauchte. Brown hatte das infektiöse Glaubensbekenntnis ursprünglich 1971 seinem Freund und einstigen Mentor Bobby Byrd auf den Leib geschrieben und produziert. Eine späte Revanche: Byrds Familie stellte für den praktisch elternlos in Augusta, Georgia, aufgewachsenen Jungen nach einem Gefängnisaufenthalt wegen eines Autoaufbruchs die Kaution und wurde zum zweiten Elternhaus. Da zählte James Brown 18 Jahre, hatte die letzten drei Jahre hinter Gittern verbracht und dort einen Gospelchor auf die Beine gestellt und war entschlossen, sich als Entertainer einen Namen zu machen. 1952 nahm Bobby Byrd den Exknacki in seine Doowop-Gospel-Gruppe auf. Mit seinen blitzgewandten Splits, Slides und Camel Walks fand er sich bald in der Mitte der Bühne wieder. Die Band benannte er schlichtweg um: James Brown And His Famous Flames.

PLEASE, PLEASE, PLEASE

Eingehüllt in einen Boxer-Kapuzenmantel lässt sich James Brown irgendwann vollkommen erschöpft auf die Bühne fallen. Erdrückt von der Welt und ihrer Last. Doch nach wenigen Sekunden springt er wieder auf, die selben drei Worte auf den Lippen: „Please, please, please!“ Seit 1956 beschließt James Brown seine Shows mit diesem Song, seinem ersten Hit – manchmal über 30, 40 Minuten gedehnt. Er hat ihn indirekt Little Richard zu verdanken: Während einer Showpause der schwarzen Rock-'n’-Roll-Sensation sprangen James Brown und seine Flames uneingeladen auf die Bühne und verursachten dort einen solchen Wirbel, dass Little Richards Manager sie unter Vertrag nahm und James Brown gar für einige Wochen unter dem Namen Little Richard dessen Doppelbuchungen ausfüllte. Nach „Please, Please, Please“ hatte der „Soul Brother No.1“ das nicht mehr nötig: James Brown verhängte gegen seine Bandmitglieder Geldstrafen für Verspätungen, Schlampigkeit, unpräzise Tanzbewegungen und falsche Noten. Die Show war kalkuliert, das Adrenalin echt. „Please, please, please“ fleht James in seiner heiser-verwundbaren Stimme. Wenn einer jetzt nicht schreit, wann dann?

OUT OF SIGHT

Mit dem Selbstbewusstsein haperte es nie: Brown, der sich gerne in die drei Bs von Bach, Beethoven und Brahms einreiht, lieferte 1965 endgültig den Beweis, mehr zu sein als nur ein großartiger Live-Performer. Mit „Out Of Sight“ schoss er in eine neue Umlaufbahn des Rhythm 'n’ Blues, weit entfernt von traditionellen Bluesschemen, Akkordwechseln und Harmoniegesängen. Was James Brown bereits tanzend angedeutet hatte, das dehnte er jetzt auf seine Musik aus. Alles ist Rhythmus. Und der Rhythmus ist alles: Er engagiert zwei oder mehrere Schlagzeuger gleichzeitig, deren Zusammenspiel eine ekstatische Energie freisetzte. Afrika war wieder ein Stück näher an Amerika gerückt. „Ich habe“, so Mr. Dynamite, „alles, auch die Gitarren und Bläser gehört, als ob es Trommeln wären“. Die rhythmischen Elemente wurden zum Song – ein Konzept, das HipHop, House und Techno vorwegnahm. All die heiseren Schreie, Grunzer und atemlosen Stöhner, die bisher im Hintergrund lauerten, kamen nach vorne und ersetzten zunehmend den Text.

AIN'T THAT A GROOVE

„Now I got a brandnew jet when I need to move / a soul brother made it / ain't that a groove?“ Die Erfolgsgeschichte vom Schuhputzer zum Millionär ließ sich tanzen. Und sie brachte einen „schwarzen Kapitalismus“ ins Spiel, der zum Modell für Michael Jackson, Quincy Jones oder Jay-Z werden sollte. Man darf nicht vergessen, dass James Brown von schwarzen Jugendlichen nicht nur für seine Musik bewundert wurde. Schließlich war da noch seine Flotte an Limousinen, der 700.000 Dollar teure Lear Jet und sein viktorianisch anmutendes Schloss in Queens mitsamt Graben und Zugbrücke. Der Mann hatte es geschafft im weißen Amerika.

AMERICA IS MY HOME

Nach der Ermordung Martin Luther Kings im April 1968 und den folgenden Unruhen nützte James Brown seine Popularität als politische Waffe. Er überredete den Bürgermeister von Boston, sein am Abend des Attentats angesetztes Konzert im Fernsehen zu zeigen und so die schwarze Bevölkerung von der Straße wegzuhalten. Boston blieb von den Verwüstungen anderer Städte verschont – „Stay cool“ predigte Brown auf seinen landesweiten Tourneen und „Learn, don't burn“.

Als James Brown sich auch noch verpflichtete, für die Truppen in Vietnam zu spielen, und das patriotische „America Is My Home“ nachschob, brandmarkten ihn radikale schwarze Führer wie H. Rap Brown und Amiri Baraka als Onkel Tom und „Lügensänger“. Doch Brown schoss zurück: „In meinem Herzen bin ich schwärzer als jeder andere.“

Dass er später auf dem Einführungsball von Richard Nixon im weißen Haus sang, den Präsidenten des schwarzen Sozialabbaus für dessen vermeintliche Förderung eines „schwarzen Kapitalismus“ pries, und Ronald Reagan 1985 mit dem Song „Living in America“ unterstützte, zeugt davon, dass Brown einfach mehr Amerikaner war als sich viele das wünschten.

SAY IT LOUD, I'M BLACK AND I'M PROUD

Vielleicht stimmt ja das Gerücht, bewaffnete Black Panther hätten Brown einen Besuch abgestattet und ihn zu einer deutlicheren proschwarzen Stellungnahme gedrängt. Vielleicht spricht der Song auch einfach von der gespaltenen Seele des Mannes, der seinen Aufstieg vor allem der schwarzen Unterschicht zu verdanken hatte. Nur Monate nach „America Is My Home“ jedenfalls lieferte James Brown ein Bekenntnis zu Black Pride ab, das für viele Weiße wie ein Aufruf zu den Waffen klang: „Say It Loud I'm Black And I'm Proud“. Der Song mit der provokativen Zeile „we'd rather be die on our feet than be working on our knees“ kostete den „Godfather Of Soul“ eigenen Angaben nach einen großen Teil seines Crossover-Publikums. Für viele frustrierte Afroamerikaner dagegen kam rhythmische Intensität und Message des No.-1-Soulhits wie eine Befreiung. „ ‚Say It Loud‘ “, so der Polit-Rapper Chuck D, „bereitete mich 1968 auf die dritte Klasse vor – und den Rest meines Lebens. BLACK drückte nun aus, wofür wir standen.“

SEX MACHINE

Konnte man sich James Brown bis Ende der 60er-Jahre aufgrund von Hits wie „I'll Go Crazy“, „Bewildered“ und „Prisoner Of Love“ noch als sinnlichen Frauenschwarm und verzweifelten Romantiker zurechtdichten, brach 1970 endgültig der Macho mit ihm durch: Klar, der Mann, der seinen dutzend Titeln nun auch noch den „Minister of Super Heavy Funk“ anhängte, hatte noch nie mit Beschwörungen seiner Potenz gespart. Aber so unverschämt hatte noch kein Soul Brother sein Ego in der Öffentlichkeit massiert: „Stand on the scene, like a sex machine …“ Ob die sexuelle Machtbeschwörung die Niederlagen seiner schwarzen Brüder an der politischen Front – Bürgerrechtsbewegung und Black Panther befanden sich im Zerfall – wieder gutmachen konnte? Bezeichnend, dass James Brown 1988 unter anderem wegen Gewalttätigkeit gegenüber seiner dritten Ehefrau Adrienne zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt wurde. 1996 verstarb Adrienne nach einer Schönheitsoperation – angeblich ein letzter verzweifelter Versuch, James Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen.

UNITY

1984 erhielt James Brown erstmals den gebührenden Respekt derjenigen, die aus den Bruchstücken seiner Songs einen ganz neuen Musikstil geformt hatten: Der New Yorker Deejay und Elder Statesman des HipHop, Afrika Bambataa, lud ihn zu einem Duett namens „Unity“ – auf der Plattenhülle reichen sich Brown und Bambataa die Hände. Knapp 20 Jahre später gehören Songs wie der „Funky Drummer“ zu den meistgesampelten Stücken der Popgeschichte, könnte Brown gut von den Tantiemen leben. Aber James Brown teilt die Tragik ehemaliger Boxer wie Muhammad Ali, nicht rechtzeitig aufhören zu können. Wenn wir also demnächst eine 70-jährige Sex Machine auf der Bühne sehen, sollten wir freundlich winken und einen Toast auf den Mann ausrufen, der uns mehr als ein paar durchtanzte Nächte beschert hat: „I know you got soul!“