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Archiv-Artikel

Bildung mit Verfallsdatum

Bildungsgutscheine: Arbeitslose, die durch Weiterbildung ihre Chancen verbessern wollen,müssen viele Hürden nehmen. Auch die Träger der Maßnahmen leiden unter dem neuen Modell

von SANDRA WILSDORF

Jahrzehntelang galt: Wer keine Arbeit hat, soll sich wenigstens bilden können. Weil mit dem Wissen die Chancen auf dem Arbeitsmarkt steigen, förderte das Arbeitsamt Weiterbildungen und Umschulungen in großem Stil. Doch nun, da das Geld immer knapper wird, haben Politik und Bundesanstalt für Arbeit sich auf eine ganz andere Sicht der Dinge geeinigt: Man habe „auf Halde“ gefördert. Und: Bildung an sich sei ja immer gut und schön, aber nicht Sache der Beitragszahler. Konsequenz und Ausdruck dieses Paradigmenwechsels: die Bildungsgutscheine. Unter dem Motto „Nachfrage- statt Angebotsorientierung“ empfiehlt nicht mehr der Arbeitsberater dem Erwerbslosen eine für ihn geeignet scheinende Maßnahme, sondern dieser muss sie sich selbst suchen. Eine auf den ersten Blick einleuchtende Idee mit vielen Hürden.

Denn es ist gar nicht leicht, überhaupt an einen Gutschein zu kommen. Der Bildungswille muss ausführlich und schriftlich begründet werden – er muss den Arbeitsberater überzeugen. Denn der hat nur ein bestimmtes Kontingent von Teilnehmermonaten zu vergeben – und bedient möglicherweise lieber 18 Arbeitslose mit je einem Monat Wirtschaftsenglisch oder Computerweiterbildung, als einen einzigen Menschen mit einer 18-monatigen Umschulung.

Eigenverantwortung stärker gefordert

Knut Böhrnsen, Sprecher des Hamburger Arbeitsamtes, räumt ein, dass das neue Modell „gewöhnungsbedürftig und schwierig für die Arbeitslosen“ ist. Aber er hält es für richtig, dass die Arbeitssuchenden sich damit auseinander setzen, warum und welche Weiterbildung sie machen wollen. In der Vergangenheit hätten Nachforschungen nach Ende einer Maßnahme immer wieder ergeben, dass die Arbeitslosen trotz Weiterbildung keine Bewerbungen und keine Initiative vorweisen könnten. Das Amt müsse dann erst mit Sanktionen drohen. Mit dem neuen Modell nehme die Eigenverantwortung zu, „aber das ist auch mit Blick auf die Beitragszahler vollkommen okay“, findet Böhrnsen. Er geht davon aus, dass sich die neuen Regeln einspielen werden.

So knifflig die auch sein mögen. Denn der Arbeitsberater, wenn er denn einen Gutschein herausrückt, verrät dem Arbeitslosen nicht, welcher Weiterbildungsträger die gewünschte Maßnahme anbietet. Der Bildungswillige muss sich also auf einem unübersichtlichen Markt selbst auf die Suche machen. „Unsere Beratung wird deutlich mehr frequentiert“, sagt Regina Beuck, Pressesprecherin von Weiterbildung Hamburg e.V., in dem 200 Hamburger Bildungseinrichtungen zusammengeschlossen sind. Sie hat den Eindruck von „zunehmender Desorientierung“ bei den Arbeitslosen.

War die Recherche erfolgreich, kann es dann bei der konkreten Suche durchaus noch passieren, dass die gewünschte Maßnahme von fünf verschiedenen Trägern angeboten wird, weshalb keiner ausreichend große Gruppen zustande bringt. Oder dass die gewünschte Maßnahme erst beginnt, wenn der Bildungsgutschein bereits verfallen ist. Denn jeder Gutschein gilt nur drei Monate. Und: Das Arbeitsamt lässt in diesem Bereich überhaupt nur noch Maßnahmen zu, nach deren Abschluss mindestens 70 Prozent der Teilnehmer einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt finden. Die Anbieter müssen also bei der Auswahl ihrer Teilnehmer auch abschätzen, ob das bei diesem oder jenem Arbeitssuchenden überhaupt zu erreichen ist, und ihn gegebenenfalls ablehnen. In diesen Fällen nützen dem Arbeitslosen weder Gutschein noch seine Macht als Nachfrager.

„Tendenz, Bildung zu privatisieren“

Und so sind von den 942 Bildungsgutscheinen, die das Hamburger Arbeitsamt seit dem 1. März ausgegeben hat, erst etwa 250 eingelöst worden. Roland Kohsiek, Fachbereichsleiter Bildung bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, lässt denn auch kein gutes Haar an dem Modell: Es sei auf einem völlig unübersichtlichen Markt eine Aufforderung an unseriöse Anbieter, unseriöse Akquisition von Teilnehmern zu betreiben, und „es ist Ausdruck der Tendenz, Bildung zu privatisieren“.

Nach Kohsieks Angaben hat der Bildungsgutschein schon jetzt zu weniger Bildung geführt: Vom 1. Januar bis zum 31. März 2002 hätten in Hamburg 3560 Menschen eine vom Arbeitsamt geförderte Weiterbildung begonnen, in diesem Jahr seien es im gleichen Zeitraum nur 1148 gewesen. „Das ist ein Minus von 67,8 Prozent.“

Und das hat auch für die Mitarbeiter der Weiterbildungsbranche Folgen: „Beim Internationalen Bund stehen bundesweit zehn Prozent der Stellen zur Disposition, beim Berufsfortbildungswerk des DGB geht es um 350 von 1700 Stellen.“ Allein in Hamburg sind schon jetzt über 100 Stellen in „Betriebsänderungen“. Kohsiek schätzt, dass es im Laufe des Jahres mindestens 500 werden, „einige Betriebsräte reden sogar von 1000“. Und so sind Weiterbilder in der gleichen Lage wie die, die bis vor kurzem noch ihre Kunden waren.