: Die Hand bleibt ausgestreckt
Trotz der Kreuzberger 1.-Mai-Krawalle will Innensenator Körting (SPD) am Konzept der Deeskalation festhalten. Die Randalierer seien gezielt vorgegangen. CDU und GdP nehmen Körting unter Beschuss
von RICHARD ROTHER
An einem ließ Innensenator Erhart Körting (SPD) keinen Zweifel aufkommen: Das so genannte Deeskalationskonzept der Polizei sei trotz der Krawalle um den 1. Mai richtig gewesen und werde beibehalten. Dazu gebe es keine Alternative, sagte Körting gestern bei der Vorstellung der vorläufigen Bilanz der Ereignisse vom Tag der Arbeit. Polizeipräsident Dieter Glietsch kündigte an, mit diesem Konzept im „nächsten Jahr noch einen Schritt weiter zu gehen“. Allerdings seien die Polizeikräfte an der einen oder anderen Stelle nicht schnell genug eingeschritten.
Nach Einschätzung von Polizei und Innenverwaltung waren insbesondere die Veranstaltungen im Laufe des 1. Mai, die Demonstrationen und Feste, äußerst erfolgreich verlaufen. Sowohl die Revolutionäre Demonstration vom Kreuzerberger Oranienplatz als auch die abendliche vom Rosa-Luxemburg-Platz in Mitte, an denen jeweils 3.500 Personen teilgenommen hätten, seien von Anfang bis Ende friedlich verlaufen, hieß es. Und bei den Kreuzberger Straßenfesten sei es zum ersten Mal gelungen, dass die Polizei als friedliche Ordnungsmacht akzeptiert worden sei. „Die Polizei ist nicht Auslöser von Gewalt, und die Menschen im Kiez haben uns das jetzt abgenommen“, zeigte sich Einsatzleiter Alfred Markowski sicher. „Das ist ein wichtiger qualitativer Unterschied.“
Dass es dennoch zu zum Teil heftiger Randale gekommen ist, dafür machen Polizei und Innenverwaltung rund 1.300 zumeist jugendliche, teils alkoholisierte Gewalttäter verantwortlich. Diese seien bewusst zum Randalieren nach Kreuzberg gekommen und gezielt vorgegangen, hieß es. „Das waren keine Jugendlichen, die am Rande einer Demonstration bei der Randale mitmachen wollten“, so Körting. Bei vier Festgenommenen, die einen Pkw angezündet hatten, sei im Auto sogar eine scharfe Waffe entdeckt worden. Die jugendlichen Täter seien überwiegend männlich und sowohl in deutschen wie in türkisch-arabischen Gruppen unterwegs. Die Bilanz: mindest 18 abgefackelte Autos, 10 zerstörte Geschäfte, knapp 100 Sachbeschädigungen, 139 Festnahmen und 175 verletzte Polizisten – damit gab es mehr Sachbeschädigungen und Festnahmen als im Vorjahr.
Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Frank Henkel, warf Körting Versagen vor. Dessen Konzept sei gescheitert. Kritik am Prinzip der „ausgestreckten Hand“ kam auch von der Berliner Gewerkschaft der Polizei. Der Polizei sei dieses Konzept aufgezwungen worden, so Landeschef Eberhard Schönberg. „Die Gewalttäter werden die ausgestreckte Hand auch in Zukunft nicht ergreifen.“
Lob erntete die Polizei hingegen vom Grünen-Innenexperten Wolfgang Wieland. Die Polizei habe im Wesentlichen professionell agiert. Problematisch sei aber die Heranführung von erfahreneren Spezialkräften an die Brennpunkte gewesen. Wieland: „Aber das sind taktische Fragen, die nichts an der Richtigkeit der Deeskalationskonzeption ändern.“ Ein Erfolg seien auch die MyFest-Aktivitäten des Bezirksamts Kreuzberg-Friedrichshain gewesen. „Noch nie waren die Gewalttäter derart isoliert von den Anwohnern und Festteilnehmern“, so Wieland.
Auch der Politologe Peter Grottian vom Komitee für Grundrechte und Demokratie bezeichnete das Konzept als erfolgreich. Insgesamt sei ein Rückgang der organisierten Gewalt zu verzeichnen. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen seien eindeutig von jugendlichen Steinewerfern provoziert worden.