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Archiv-Artikel

Erlösung in der Küche

Der Plattenfürst von Silverlake: Als Produzent zählt Daniel Lanois zu den einflussreichsten und gefragtesten Dienstleistern seiner Zunft. Als Musiker hat der Frankokanadier nach zehnjähriger Pause nun endlich mal wieder ein eigenes Album aufgenommen. Ein Besuch in Lanois’ Hollywood-Villa

von MAX DAX

Nach seinem Auftritt sitzt der US-Songwriter Beck im Garderoberaum der Berliner Passionskirche und blättert locker durch eine Illustrierte. Als sein Blick auf ein Interview mit dem Produzenten Daniel Lanois fällt, ruft er erstaunt aus: „Das gibt’s ja gar nicht: Das ist doch mein Nachbar!“ Dann erklärt Beck: „Ich wohne auch in Silverlake. Aber Daniel Lanois hat das größte und schönste Haus weit und breit: Er wohnt regelrecht in einem Palast.“ Beck schüttelt den Kopf und lacht. Wer in Silverlake, dem In-Bezirk von Hollywood, einen Palast mitsamt anliegendem Berg besitzt, der muss reich sein. Noch reicher als Beck jedenfalls.

Daniel Lanois dürfte inzwischen sehr reich sein. Sein palastartiges, einer italienischen Renaissance-Villa nachempfundenes Haus steht weit offen, als wir uns zum Gespräch treffen. Von weitem dröhnt der Lärm der Großstadt gedämpft durch die Zypressen. Es ist warm, fast 30 Grad Celsius, und der milde Wind zieht durch Foyer mit Freitreppenaufgang, Billardzimmer und schließlich ins so genannte Teezimmer, wo Daniel Lanois auf bequemen Antikmöbeln zum Gespräch bittet.

Über dem Sofa hängt eine plattgewalzte Kühlschranktür mit einer in den Lack geritzten Zeichnung: „Das ist ein Geschenk von meinem Freund Vincent Gallo“, fühlt sich Lanois aufgefordert, meinen fragenden Blick zu beantworten. Einmal während des Gesprächs fliegt ein gelber Papagei namens Giorgio durch das Zimmer: Für ihn steht im ausgedehnten Garten auch ein großer Käfig bereit.

In den Achtzigerjahren kam der 1951 im frankokanadischen Quebec geborene Multiinstrumentalist und Produzent schlagartig zu Weltruhm, als er gemeinsam mit seinem Mentor Brian Eno als Koproduzent mit „The Joshua Tree“, „The Unforgettable Fire“ und „Achtung Baby“ gleich drei weltweit erfolgreiche U 2-Alben aufnahm.

Peter Gabriels Hit-Album „So“ produzierte Lanois dann im Alleingang. Und die Dankbarkeit von Millionen Fans sicherte sich Lanois 1989, als er Bob Dylan auf dessen viel gepriesenem Comeback-Album „Oh Mercy“ zu alter, verloren geglaubter Form zurückführte. Seitdem hat Lanois mit Willie Nelson, Emmylou Harris, Lucious Jackson, Youssou N’Dour und unzähligen anderen zusammengearbeitet. Das Billboard-Magazine erklärte ihn dafür zum „einflussreichsten Produzenten der letzten beiden Jahrzehnte“.

Doch während sich die Klientenliste des Produzenten Daniel Lanois schier endlos ausnimmt, hat der Songrwriter Daniel Lanois in nunmehr 14 Jahren gerade einmal drei Alben veröffentlicht – das dritte davon erst vor wenigen Tagen. Das verwundert, zumal das geräumige Haus des gelernten Pedal-Steel-Gitarristen vollsteht mit exotischen und ganz offensichtlich sorgfältig gesammelten Musikinstrumenten, Röhrenverstärkern und ausgewählt teuren Mikrofonen.

„Ich wüsste schon, wie ich das hinbekäme: mehr eigene Platten zu veröffentlichen“, antwortet Daniel Lanois. „Ich brauchte nur den vielen Anfragen nicht nachzukommen, die wollen, dass ich ihre Platten produziere. Aber das ist gar nicht so leicht. Ich kann schließlich mit vielen meiner erklärten Idole zusammen arbeiten!“ Da fällt selbst einem mehrfachen Millionär, der über seine Zeit frei verfügen kann, das Neinsagen schwer.

Doch für genau ein Jahr hat sich Lanois nun eine Pause von allen Produzententätigkeiten auferlegt. Erstes Ergebnis dieser Entziehungskur ist sein neues Album „Shine“, das kürzlich erschienen ist. Auf Bändern und Festplatten, behauptet der 52-Jährige, habe er inzwischen weit mehr als einhundert halbfertige Songs herumliegen. Dreizehn dieser Skizzen hat er nun auf Hochglanz poliert und auf „Shine“ versammelt. Die Auswahl erfolgte dabei ausschließlich nach persönlicher Laune. Seine früheren Soloarbeiten wie „Acadie“ von 1989 oder „For The Beauty Of Wynona“ aus dem Jahr 1993 kamen seinerzeit mitunter daher, als habe der Produzent auf diverse Facetten seines Könnens verweisen wollen – auf seinen spezifischen Sound, den er als Dienstleister gern auch für seine Kunden umzusetzen gedachte. Lanois experimentierte damals wild mit Raumklang, Dynamiken und exotischen Instrumenten herum.

Dass ein solches Kalkül im Hinterkopf nicht zu glatten, mediokren Ergebnissen führen muss, dafür ist vor allem „For The Beauty Of Wynona“ ein gutes Beispiel: ein Album, das eine Reise in den Sound ist, sich auf diesem Trip durch die Hallräume aber nie verliert. Auch die Stärken von „Shine“ liegen wieder in den langen Instrumentalpassagen, wie sie etwa den Song „Matador“ auszeichnen: dort also, wo Daniel Lanois stumm seine eigenen Wurzeln zu betrachten scheint, wo seine Songs wie Reminiszenzen an seine Ambient-Alben mit Brian Eno wirken oder wie entrückt-psychedelische Respektbezeugungen an Kraftwerk („Space Kay“).

Dass „Shine“ zu keinem Zeitpunkt das Stadium der entspannten Ruhe verlässt, ist einer selbst verordneten Disziplin zu verdanken, einer soundverliebten Entscheidung für eine alles überlagernde atmosphärische Stimmung und Lanois’ Liebe zur amerikanischen Folk- und Country-Musik. Das Album wirkt entsprechend geerdet, manchmal wie beiläufig aufgenommen. Vor allem aber ist es einer gewissen Sehnsucht nach musikalischen Strukturen verpflichtet, die der Produzent Song für Song durchdekliniert.

Melancholischer Höhepunkt des Albums ist das Schlusstück „JJ Leaves L. A.“, ein Steel-Guitar-Instrumental. „Ich hatte eines Abends allein im Teatro für mich selbst und meine Mitstreiterin Jennifer ein Konzert gegeben. Da habe ich dieses Stück gespielt. Und irgendwie dachte ich, dass das ein schöner Ausklang für die Platte wäre. Weil es einen Moment der Erlösung in sich trägt“, erzählt der Musiker die Entstehungsgeschichte. Das Teatro, muss man dazu wissen, ist ein Studio, das Lanois in einem alten mexikanischen Softpornokino in dem kalifornischen Städtchen Oxnard eingerichtet hat.

Mit Daniel Lanois zu reden heißt, einem besessenen Musiker zuzuhören. Mit der gleichen Passion, mit der er seine Kunden durch Gespräche und Gut-Zureden immer wieder zu neuen musikalischen Ufern lockt, redet er auch über seine eigene Musik, sucht Blickkontakt und unterstreicht mit seinen Gesten das Gesagte. Als ihn mitten im Gespräch ein Thema betrübt – ein ihm nahe stehender Mensch ist schwer krank, die Nachricht ist wohl noch frisch –, steht Daniel Lanois unvermittelt auf und geht zu seiner Pedal-Steel-Guitar, die im Teezimmer aufgebaut ist, um seinen Kummer in leise angeschlagenen Molltönen aufzulösen.

Doch Daniel Lanois ist ein Profi, der gerade gegenüber einem Journalisten schnell wieder zur verbindlich-freundlichen Umgangsform zurückfindet. „Wissen Sie eigentlich“, fragt Lanois, „dass ich meine besten Platten in Küchen aufgenommen habe?“ Dann leitet er dazu über, dass er das Album „Oh Mercy“ mit Bob Dylan in einer Küche in New Orleans aufgenommen habe. „Ich hatte das alles so für Bob arrangiert, weil er mich darum gebeten hatte, mit ihm nicht in ein normales Studio zu gehen. Für ihn bedeutete die Küche wohl so etwas wie: loslassen, sich konzentrieren können.“ Und warum gerade in einer Küche? „In Wohnräumen klingt Musik oft besonders gut. Und wenn sich jemand mit der Gitarre in die Küche setzt und singt, dann klingt das meistens großartig. Bob und ich, wir saßen die meiste Zeit mit unseren Instrumenten auf einer Art Sofa, das ich vor den Küchenschrank geschoben hatte. Für mich ist das eine zärtliche Erinnerung.“

Den Kontakt zu Bob Dylan hatte damals übrigens U 2-Sänger Bono hergestellt, der nun auch auf Lanois’ neuem Album einen Gastauftritt hat. Solche Kontinuität zeichnet die Arbeiten von Daniel Lanois aus. Nur auf der Bühne ist er selten zu sehen.

Es ist schon zehn Jahre her, da war der Musiker und Sänger kurz nach der Veröffentlichung seines zweiten Albums 1993 zuletzt auf kleiner Deutschlandtour und spielte in lediglich halbvollen Hallen endlose Psychedelik-Rock-Sets im selten gehörten Quadrophonie-Sound: Es waren wilde, raumgreifende Konzerte. Kürzlich trat Lanois in seiner Heimat – in Toronto, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Ontario – zum ersten Mal nach langer Zeit wieder vor ein Live-Publikum. Die kanadischen Tageszeitungen waren voll des Lobes. Vielleicht verleitet ihn das dazu, demnächst auch hierzulande wieder einmal aufzutreten. Inzwischen hat er ja auch wieder eine Hand voll neuer Songs, die er aufführen kann.