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: Osterhasenstudium

Neulich kam ich von Aldi und dachte: Puh, jetzt liegen da schon die Ostereier im Regal, und bei uns im Garten hängt noch die Weihnachtsbeleuchtung im Baum, das geht doch nicht, die muss jetzt runter. Man stellt sich das so einfach vor, dieses Umrüsten zwischen den großen Christenfesten, aber es ist harte Arbeit, wirklich, man muss die Leiter rausholen, den Keller umschichten und auch mental den Schalter umlegen, was wohl am schwierigsten ist. Denn wenn es etwas gibt, das einen Keil zwischen Eltern und ihre Kinder treibt, dann ist es die Festtagsfolklore: Die Kinder wollen es bunt und glitzernd, und man selbst hat früher halt auch mal seine ästhetischen Vorstellungen gehabt. Nun ja, lang ist’s her. Nur eine kleine Pause zwischen Krippe und Eierfärberei wünscht man sich doch noch.

Aber nix da. Pünktlich zum Beginn der Passionszeit kommen Eier und Hasen auf den Markt und nicht nur aus Schokolade. Hoppel- und Knuddelhasen, „kleine Ostergeschichten“ und „klitzekleine Ostergeschichten“, „ein zauberhaftes Glitzerbilderbuch“ und „warmherzige Ostergeschichten mit echten Briefen“ – man möchte zum Hasenhasser werden bei all den Einwegbüchern, die die Verlage auf den Grabbeltisch schmeißen. Dabei sind es gar nicht mal die Geschichten, die einen gruseln lassen, sondern die Bilder: Hasenohren und Hasenzähne, Hasennester und Haseneier, Hasenmalschulen und Hasenkörbchenflechtereien – alles allerliebst und niedlich und gleich.

Einen Grund allerdings gibt es doch, sich diese Häschenhudelei mal anzuschauen: Man weiß dann die Bilderbuchkunst erst recht zu schätzen. Zum Beispiel einen wie Wolf Erlbruch. Ein echter Moderner und einer der Mutigsten in seinem Fach. Einer, der Geschichten wirklich in Bildern und Collagen erzählen kann und der sich seit einiger Zeit mit Macht den existenziellen Menschheitsfragen zuwendet. „Warum bin ich auf der Welt?“, will er in seinem neuen Buch „Die große Frage“ wissen, und darauf antworten der Hund und der Soldat, der Matrose und der Gärtner, die Drei und der Tod. Auch ein Hase, genauer: ein Kaninchen, kommt vor, warm, kuschelig und rotäugig, und Lichtjahre vom gemeinen Osterhasenvolk entfernt.

Und noch ein ästhetisches Highlight fällt aus dem Frühlingsangebot heraus: Peter Schössows Bilderbuch zu den Goethe-Gedichten „Meeres Stille“ und „Glückliche Fahrt“. Ähnlich wie im Daumenkino segelt da ein Mensch über das Meer, spürt Todesstille und Reglosigkeit, Brise und Wellen, ist furchtsam und glücklich und am Ende wieder an Land. Etwas für kleine Kinder, weniger verspielt als Erlbruch, sondern sehr klar, luzide gar.

Kinder und Ästhetik, das ist kein Selbstgänger, wie jeder weiß, der mit seinem Nachwuchs zwischen Osterhasen und Erlbruch pendelt. Trotzdem weiß man nicht recht, ob man sich mehr ästhetische Erziehung wünschen soll. Wie leicht die ins Auge geht, zeigen etwa Alexander Sturgis und Lauren Child in ihrem Versuch, kindgerecht eine Tür zur Kunstgeschichte zu öffnen. Rembrandts „Festmahl des Balsazar“ auf knallrosa Grund soll wohl peppig sein, lässt einen für den Rembrandt aber erblinden. Und das Erklärstück, was das Bild denn bedeutet, gibt Antworten von der Sorte, die keine Fragen offen lässt. Da überlegt man dann, ob das stinknormale Hasenstudium nicht auch so seine Vorteile hat. ANGELIKA OHLAND

Wolf Erlbruch: „Die große Frage“. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2004, 52 Seiten, 14,90 Euro Johann Wolfgang von Goethe, Peter Schössow: „Meeres Stille“ und „Glückliche Fahrt“. Hanser Verlag, München 2004, 40 Seiten, 12,90 Euro Alexander Sturgis, Lauren Child: „Peter Engel und die Geheimsprache der Bilder“. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2003, 36 Seiten, 12,90 Euro