: „Benimm Dich wenigstens“
Zwischen endlich mal abzuschließender Krankenversicherung und radikal entschleunigter Kreativität: Tomtes neue Platte „Hinter all diesen Fenstern“ ist vorige Woche erschienen
von MARKUS FLOHR
„Ich beschwere mich ja gar nicht“, sagt Thees Uhlmann, denkt kurz nach, bemerkt dann aber: „...wenn mein Leben auch mal schwierig war.“ Immerhin seit 14 Jahren habe er jetzt auf diesen Punkt hingearbeitet. „Nicht besonders zielstrebig“, gesteht er, an der Kölner Universität liegen noch heute Scheine, die er in Englisch und Politik gemacht und nie abgeholt hat, aber trotzdem: Seit dem 28. April steht das Album Hinter all diesen Fenstern der Hamburger Band Tomte, bei der er singt, die Texte schreibt und Gitarre spielt, in den Plattenläden. Und das ist ja schon mal was.
Um genau zu sein: Zehn Songs sind es, die Tomte genau dahin bringen, wo Herr Uhlmann eigentlich schon immer hinwollte. Ins Stadion? In die Hall of Fame des Rock ‘n‘Roll? Einfacher: „Ich will meinen Mund aufreißen, und möglichst viele Leute sollen mir zuhören“, fordert er, wobei sich sein Sendungsbewusstsein in Grenzen hält. Um ein politisches Anliegen geht es ihm schon mal nicht, denn „das geht zu 99 Prozent schief und ist eigentlich so schlimm wie Talkshow-Gucken“.
Die Kernaussage der neuen Platte umreißt er mit dem Sinnspruch „Das ist Dein Leben, mach was‚draus – und wenn es nicht klappt, dann benimm‘ Dich wenigstens“, was mindestens eine heitere Untertreibung ist. Denn Hinter all diesen Fenstern passiert eine Menge mehr: Tomte sind in diesem Jahr die Band, die feststellt, dass die Start-Up-Party vorbei ist, die der Generation Golf den Gang rausnimmt und die ganze Chose kräftig entschleunigt. Ihr neues Album ist, ohne dass es auf Slogans und explizite Reminiszenzen verfiele, das Gegenteil poppiger Beliebigkeit und zeitgeisthafter Spaßbesoffenheit. Eher sanfte Klänge, die schon noch an eine Art „Hamburger Sound“ a la Tocotronic, Die Sterne oder Blumfeld erinnern, mischen sich mit etwas stärkeren Britpop-Tupfern. Oasis, Coldplay, Travis und Embrace klingen an und irgendwie auch der US-amerikanische Emo-Core, wie ihn die Get Up Kids oder Jimmy Eat World spielen. Zu all dem summt orchestrales Hintergrundgesäusel, und Uhlmann nölt sich zum Teil geniale, zum Teil leicht kalauerhaltige, manchmal aber auch herzzerreißende Prosaszenen von der Seele.
In allem gedämpft und sehr zurückgelehnt, zimmern Tomte auf diese Weise ein Eigenheim aus alternativem Poprocksound Hamburger Machart und richten sich darin gemütlich ein. „Vielleicht kann ich mir auch bald eine Krankenversicherung leisten“, sinniert Uhlmann hinter einer Zigarette vor sich hin, um einen Moment später Interpretationshilfen zu der Zeile „da ist zu viel Krebs in Deiner Familie“ aus der Single-Auskopplung Schrei den Namen Deiner Mutter zu geben.
Das ist merkwürdig, aber folgerichtig. Denn eine Stimmung des grundsätzlichen Unwohlseins, dem Wunsch etwas zu können, hinzubekommen und eben doch zu scheitern ist so etwas wie ein Leitmotiv der Platte, mit Sicherheit – seines Lebens, vielleicht. So ganz mag das nicht zur sehr professionellen und durchdachten Produktion des Albums, zum „Und jetzt kommen wir“- Feeling passen, das Uhlmann durchaus versprüht. Auch die liebenswerte Rumpeligkeit früherer Platten ist weg, aus der „Genialität im Stadium der Andeutung“, wie die Fachzeitschrift für Schlaupop (Spex) Tomte einmal charakterisierte, ist Deutlichkeit geworden. Und darüber kann sich ja nun auch niemand beschweren.
Hinter all diesen Fenstern ist am 28. April bei Grand Hotel van Cleef erschienen