: Die eingeigelten Schützen
Die Sportschützen trafen sich am Wochenende zur Landesmeisterschaft im Speedschießen – und beklagen sich über die neuen Sicherheitsbestimmungen. Denn mit Erfurt habe ihr Sport nicht zu tun
von ANDREAS RÜTTENAUER
Es wird viel diskutiert in der Berliner Schießszene. Statt über ihren Sport reden die Schützen über waffenrechtliche Fragen. Schuld daran ist ein gewisser Robert Steinhäuser, jener junge Mann, der vor einem Jahr versucht hat, den Lehrkörper seiner ehemaligen Schule in Erfurt zu liquidieren. „Natürlich laufe ich nicht so, wie ich jetzt aussehe, über die Straße“, meint Reinhard Wagner und zeigt sein auf das Emblem auf seinem Polohemd, das ihn als Mitglied des Bundes Deutscher Sportschützen (BDS) ausweist. Er weiß, dass das Ansehen seiner Sportart seit dem Amoklauf des Erfurter Sportschützen stark gesunken ist. Doch seinen Sport will er sich nicht madig machen lassen.
Beinahe jedes Wochenende fährt Wagner in den Düppeler Forst zur so genannten Rose Range, einem riesigen Schießplatz der Deutschen Versuchs- und Prüfanstalt für Jagd- und Sportwaffen. Er erzählt von der Faszination des Schießsports, von den Adrenalinstößen im Wettbewerb, wenn es darum geht, in kurzen Intervallen die gesamte Aufmerksamkeit auf den Schießvorgang zu richten, versucht die einmalige Kombination von Konzentration und Feinmotorik zu beschreiben.
Nach einer Zigarettenpause schiebt er seinen Gehörschutz über die Ohren und verschwindet hinter der Tür zu einer Schießbahn. Dahinter spielen sich merkwürdige Szenen ab. Ziele aus Karton, die an menschliche Oberkörper erinnern, sind an unterschiedlichen Stellen aufgebaut, eines pendelt wie ein Metronom hin und her. Dazu sind Metallplatten aufgestellt, die es durch permanenten Beschuss zu Fall zu bringen gilt. Die Schützen wechseln vor jedem neuen Ziel ihre Position. So könnte man sich das Schießtraining eines Sondereinsatzkommandos der Polizei vorstellen. Es wirkt aber auch ein wenig wie ein Wirklichkeit gewordenes Ballerspiel aus der Konsole.
IPSC-Schießen heißt diese Disziplin, die weltweit von der International Practical Shooting Confederation (IPSC) durchgeführt und auch als sportliches Bewegungsschießen bezeichnet wird. Auf die Frage, warum man sich für diese doch recht martialisch wirkende Schießsportvariante entscheidet, weichen die Schützen aus und sprechen von der Sicherheit, von den Regeln im Schießstand, davon, dass ohnehin nichts passieren kann, weil die Schützen immer von einem Aufpasser begleitet würden, der darauf achte, dass man den Finger vom Abzug nimmt, wenn man die Position wechselt.
So hohe Sicherheitsvorschriften, sagt ein schwarz gekleideter junger Schütze mit dunkel getönter Schießbrille und voll bepacktem Munitionsgürtel gebe es in keiner anderen Sportart. „Und was Erfurt betrifft“, wirft ungefragt ein weiterer Schütze ein, da könnten doch die Sportschützen nichts dafür: „Da muss man sich nicht wundern, wenn überall die Sozialleistungen gekürzt werden.“ Wieder landet das Gespräch beim Thema Waffenrecht. Hartmut Teppert, Sportwart im Bund Deutscher Sportschützen, beklagt, dass man nun ausbaden müsse, wofür man überhaupt nichts könne.
Seit Anfang April ist das neue Gesetz in Kraft, das den Waffenkauf erschwert. Das Mindestalter für den Erwerb von Waffen wurde von 18 auf 21 Jahre hoch gesetzt. Wer nicht älter als 25 ist, muss zudem ein psychologisches Gutachten vorlegen. Grundsätzlich darf nur eine Sportwaffe erwerben, wer mindesten ein Jahr in einem Verein geschossen hat. Bis vor kurzem musste nur eine sechsmonatige Schießpraxis vorgewiesen werden. „Wo sollen wir bei diesen Regelungen noch Nachwuchs herbekommen?“, klagt Teppert.
Am Samstag kümmerte er sich um die korrekte Abwicklung der Berlin-Brandenburgischen Landesmeisterschaft im 25-Meter-Speedschießen. Die Schützen müssen dabei nacheinander fünf schwere Metallscheiben durch Dauerbefeuerung zu Fall bringen. „Geil“, meint ein Schütze nach Beendigung seines Einsatzes, „warum haben wir das nicht schon früher gemacht?“ Sportwart Teppert blickt ein wenig betreten drein ob dieser Äußerung. Er hat sich schon oft über reißerische Medienberichte ärgern müssen. Die Bemerkung des jungen Mannes in Anwesenheit eines Journalisten ist ihm sichtlich peinlich. Auch der Vorsitzende des BDS, Friedrich Gepperth, würde am liebsten nicht mehr mit der Presse sprechen. „Die tun doch gerade so, als wären wir ein Verband zur allgemeinen Volksbewaffnung.“ Auch er vermag keine Antwort darauf zu geben, warum sich erwachsene Männer diesem Sport verschreiben. Und er tut so, als wäre Schießen das Normalste der Welt: „Andere spielen Golf.“
Sie haben sich eingeigelt, die Waffensportler, sie fühlen sich als verfolgte Minderheit. Und sie schießen weiter. Denn eine eigentlich geplante Verordnung zum Waffengesetz, wonach Großkaliberwaffen überhaupt nicht mehr zu Sportzwecken verkauft werden dürfen, wird wohl nicht erlassen. Die Spaziergänger im Düppeler Forst werden also weiterhin die dumpfen Knalltöne vernehmen, die Schüsse aus der Rose Range, wo sich die Berliner Schützen mehr und mehr verschanzen.