: Sinn für die eigenen Fähigkeiten
betr.: „Eine Frage der Motivation“ (Kleine Soziologie der Erziehung) von Dirk Baecker, „Mam, geben Sie Elitenfreiheit!“ von Jürgen Busche, taz (Kultur) vom 24. 2. 04
Über die Argumente in den Artikeln war ich ziemlich überrascht, so was ausgerechnet in der taz lesen zu müssen! Erziehung ist demnach dazu da, einen Menschen zu einer Person zu machen, wobei ein Mensch sich nicht freiwillig den „Erziehungsangeboten“ (hier wohl in erster Linie Kindergarten, Schule, Uni) „unterwerfen“ würde. Die Motivation, das zu tun, muss scheinbar in irgendeiner Form von der Umwelt geliefert werden, sei es Ablösung von den Eltern oder Suche nach Autoritäten oder was auch immer. Im anderen Text erfahre ich, dass die Schulen in Bayern so gut sind, weil dort ein Konsens über die Anforderungen an die Schüler besteht. Wird die Bildung beliebig, wählen also die Schüler selbst die Lerninhalte, so herrscht Mittelmaß, und die Eliten gehen uns verloren.
[…] Am selben Tag höre ich im Radio auf WDR 5 einen Beitrag zum Thema Bildung. In NRW läuft ein Projekt, bei dem Lehrer trainiert werden, mit Kindern „lernen zu lernen“. Die Kinder sollen eigenständig arbeiten, auch die Möglichkeit zu Sackgassen und Stagnation haben, um selbst zu merken, welcher Weg richtig und welcher falsch ist. So entwickeln die SchülerInnen die für sie persönlich richtigen Wege des Lernens und lernen dabei, quasi nebenher, auch gleich die Lerninhalte. Und zwar sehr viel tief greifender, es bleibt mehr hängen. Die Trainerin stellt klar, dass das Hauptproblem an den Schulen die mangelnde Eigenmotivation der SchülerInnen ist. Sie lernen für andere, aber nicht für sich selbst. Deshalb fühlen sie sich auch nicht für ihr Lernen verantwortlich, jemand anders entscheidet, was wie gelernt werden muss.
Wenn aber die Kinder sich selbst die Lerninhalte erarbeiten und auch verschiedene Wege dahin, steigt das Selbstbewusstsein und auch der Anreiz, zu lernen. Dieses Vertrauen in die Kinder, das für einen solchen Weg wichtig ist, scheint vielen zu fehlen. Ich glaube kaum, dass der Zwang zur Lektüre von deutscher Literatur zur Elitenbildung führt. Was wir brauchen, sind Kinder und Jugendliche, die sich für ihr Leben und ihre Handlungen verantwortlich und in der Lage fühlen, etwas zu bewegen. Dann kommt die Motivation zum Lernen und der Sinn für die eigenen Fähigkeiten, der die Grundlage jeder „Elite“ ist, von allein. Das sollte sie auch, denn mit Fremdmotivation lernt man wohl kaum mehr, als man unbedingt muss.
G.A., Frankfurt