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Archiv-Artikel

Universal Wolkenbruch

Solche Probleme hätte man auch gerne: Christina Griebels Erzähldebüt „Wenn es regnet, dann regnet es immer gleich auf den Kopf“. Süßer Titel, oder?

Die Verleihung des letzten mit 10.000 Mark dotierten Walter-Serner-Preises in Berlin war lustig gewesen. In seiner Laudatio auf die Preisträgerin Christina Griebel hatte Herbert Wiesner, Leiter des dortigen Literaturhauses, gesagt: „Aus ihr wird mal eine Autorin werden.“ Einige hatten gelacht. Die prämierte Geschichte der 1973 in Ulm geborenen Autorin hieß „Und sie geigen Schostakowitsch“ und hat nichts mit einem Krimi zu tun. Als sich die Geschichten für den Walter-Serner-Preis noch an den Kürzestkrimis des Namensgebers orientieren sollten, hatte das Preisgeld 5.000 Mark betragen.

Christina Griebel studierte Malerei und Germanistik in Karlsruhe, arbeitete als Lehrerin, hat ein Referendariat abgeleistet, ihr zweites Staatsexamen abgeschlossen, lebt inzwischen wie viele Autoren in Berlin, Prenzlauer Berg. Ihr erstes Buch enthält zehn Geschichten und heißt: „Wenn es regnet, regnet es immer auf den Kopf“. Süß, nicht?

Solche Sorgen hätte man auch gern. Die handlungsarmen Alltagsgeschichten wirken alle recht artig, nett und fleißig, doch auch ein wenig langweilig. Lesend fühlt man sich wie bei einem Besuch in einer wohl geordneten und etwas langweiligen Mittelklassefamilie – wobei nichts gegen den geordneten Alltag wohl geordneter Mittelschichtsfamilien gesagt werden soll. Aber irgendwie hat man das Gefühl, da fehlt was, nicht das sprachliche Ausdrucksvermögen – gut schreiben kann ja jeder –, sondern Lebenserfahrung, innere Unruhe, Chaos, meinetwegen auch nur ein großes Mitteilungsbedürfnis, irgendein Drive halt; stattdessen nur das Gefühl, da schreibt jemand aus einem recht behüteten Elternhaus, um Schriftstellerin zu werden.

Warum auch nicht? Schriftsteller ist ja ein schöner Beruf. Alles ist artig, nett und die Dichterin sicher auch sehr sensibel. Geschichten in dem Sinne, dass irgendetwas passieren würde, dass eins zum anderen führen würde, dass eine Spannung da wäre, die einen das Buch nur ungern aus der Hand legen ließe, dass Personen da wären, die einen irgendwie interessieren könnten, dass man irgendwo das Gefühl hätte, diese Geschichten mussten geschrieben werden, dass man danach denken würde, man sei nun um eine Erfahrung reicher, sind das nicht. Schwer zu sagen, wie man das nennen soll: artig verkunsteter Alltag vielleicht. Dinge werden lange verhalten lyrisch beschrieben und stehen dann so bedeutungsschwanger nebeneinander; in der Schostakowitsch-Geschichte zum Beispiel: ein Stückchen graues Toilettenpapier, halbe Ratten, der Blick auf die Wand im Studentenheim in Moskau und zwischendurch als Refrain spielen Musiker Schostakowitsch.

Nicht dass das an sich schlecht sein müsste; wie Griebel es schreibt, wirkt es aber aufgesetzt, und gleichzeitig hat man das Gefühl, sie hätte ihre Kurzzeiterfahrungen in anderen Ländern eins zu eins ausgebeutet, weil sich das Internationale ja ganz gut macht: Sie war kurz mal als Stipendiatin in Russland, also gibt’s eine Geschichte, die da spielt, sie hat mal kurz mit einem Kubaner gesprochen, also taucht irgendwo ein Kubaner auf, sie war mal ein paar Wochen in Island, also gibt’s was mit Island. Und um noch ein Land mehr drinzuhaben, gibt’s dann auch noch eine Mädchenbuchgeschichte mit Küssen in Frankreich; Ergebnis eines Schüleraustauschs und Hanni-und-Nanni-Sätzen wie „,Aaaachtung!‘ machte Monsieur Antony und knipste mir – zwack! – ein Ohrloch“. Diese ganze gut situierte Naivitätsposiererei ist möglicherweise symptomatisch für einen Teil der jüngeren deutschen Literatur oder, mit einem Klischee zu sprechen: ein Buch, das Brigitte-Leserinnen interessieren könnte.

DETLEF KUHLBRODT

Christina Griebel: „Wenn es regnet, regnet es immer gleich auf den Kopf“. Fischer, Frankfurt am Main 2003, 160 Zeilen, 10 €