: berliner szenen Türkisch kinderleicht
Fatih Servet
Am Abend treibt mich der Hunger auf die Herrmannstraße und direkt vor die hell erleuchteten Schaufenster von „Fatih Servet“. „Na, was serviert Vati heute?“ – neugierig spähe ich durchs Fenster hindurch auf die Auslagen. Türkisch ist wirklich kinderleicht – auch da gilt meine gute alte Faustregel: Kannste eine Sprache, kannste alle. Wie zur Bestätigung dieser Theorie befindet sich schräg gegenüber von Fatih schon seit längerem ein türkischer Supermarkt mit Namen „Bolu“. Vorher war da ein Bolle-Markt drin. Wozu Bewährtes auf den Kopf stellen?
Fatih hat mich vor seinem Laden entdeckt und winkt mich herein. „Was los, Fatih, Alter, was geht?“, begrüße ich ihn. „Geht gut“, strahlt er. „Und Mutih“, will ich wissen, „auch gut?“ „Mutih leider“, schüttelt Fatih, ernst geworden, den Kopf, „ssu Hause. Kopftuchstreit.“ „Üble Sache“, nicke ich, „der Rau, die Sau!“, um dann übergangslos das Thema zu wechseln: „Gibt’s noch Hähnchen?“ „Hähnchen leider“, deutet Fatih auf sein Geflügelsolarium voll blasser Broiler. „Wo haste denn die Schneehühner her“, scherze ich, „aus der schwedischen Hauptstadt?“ „Halbe Stunde fertig“, schätzt Fatih die Lage ein, „aber Döner heute einsachtzig.“ Wieder verstehe ich alles: Die Hähnchen brauchen noch eine halbe Stunde, bis sie gar sind und der Döner kostet heute einen Euro und achtzig Cent. Zeigte sich jeder Deutsche so integrationswillig wie ich, wäre unser Miteinander in dieser Gegend sicher viel entspannter. Stattdessen gehört hier das Wechseln der Straßenseite zu den Selbstverständlichkeiten des täglichen Lebens wie das Wechseln der Wäsche – scusi, wie woanders das Wechseln der Wäsche. Was ohnehin nichts nützt, denn auch dort drüben ist Herrmannstraße. Leider.
ULI HANNEMANN