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Archiv-Artikel

Das Prinzip Ole

Der Wahlsieg der CDU in Hamburg wird die Modernisierung der Union beschleunigen, weil sie den konservativen Landesfürsten im Süden die Deutungshoheit streitig macht

Der Hamburger Wahlkampf der CDU war mutig und wohlwollend unpopulistischNatürlich ist es fragwürdig, dass Politikdarsteller Politikerersetzen könnten

Wenn es nach der Hamburger CDU geht, kann man aus der Bürgerschaftswahl in der Hansestadt gar nichts lernen. Ole haben nur die Hamburger – und Ole ist Hamburg. Es verblüfft, dass eine Partei, die im Hamburger Bürgertum bislang kaum verankert ist, nun wie eine Volkspartei dasteht, als ob sie noch nie etwas anderes gewesen wäre. Wofür die CSU in Bayern 50 Jahre brauchte – mit Gottvertrauen und ohne Programmlektüre von einer satten Mehrheit Regierungsverantwortung anvertraut zu bekommen – das schaffte die Hamburger CDU in fünf Monaten.

Man sage nicht, es liege am von jeher charismatischen Superstar Ole von Beust. Dieser grundsympathische Liberale, der sich als Erster Bürgermeister zwei Amtsjahre lang scheute, 365 Tage im Jahr auf Sylt zu verbringen, weil man ja zu Hause doch hin und wieder mal ein Einkaufszentrum eröffnen muss – dieser Ole von Beust ist einer der dienstältesten Parlamentarier dieser Republik (seit einem Vierteljahrhundert Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft). Allerdings ist er ein im letzten Sommer relaunchter Markenartikel: Er konnte nicht nur eine klare Kante gegenüber den Rechtspopulisten in seiner eigenen Koalition ziehen, sondern sich auch all jene Attribute aneignen, die nunmehr seine Wahlplakate zierten und die noch vor sieben Monaten Gelächter hervorgerufen hätten.

Dass der Beraterstab der Schill-Fraktion von Mitgliedern des ewig konservativen Rings Christlich Demokratischer Studenten (RCDS) dominiert war, mag das Ganze erleichtert haben. Nun darf man das Prinzip Ole auch wieder nicht unterschätzen. Einerseits stand der Erste Bürgermeister für eine teils liebenswerte, teils verabscheuungswürdige, jedenfalls dilettantische Truppe von Kommunaladministratoren, andererseits hat die Hanse-CDU komplett darauf verzichtet, den bundesweiten Reformverdruss auf Hamburg herunterzubrechen – was ein Leichtes gewesen wäre. Selbst die erfolgsgewohnte baden-württembergische CDU plakatierte schließlich vor zwei Jahren „Zeigen wir’s denen in Berlin!“, und nie wäre es mit Blick auf die Popularität der Bundesregierung einfacher gewesen als zur Jahreswende 2003/04, einen Protestwahlkampf gegen Berlin zu führen. Ja, und nie wäre es einem Regierungschef so gelegen gekommen, von der eigenen dürftigen Halbzeitbilanz und dem erbärmlichen Crash der eigenen Koalition abzulenken. Merkwürdigerweise geschah nichts davon. Das war mutig und wohltuend unpopulistisch. Dieser Wahlkampf war, sieht man davon ab, dass die SPD-Wähler aus bundespolitischen Gründen zu Hause blieben, ein durch und durch hamburgischer Wahlkampf. Die Hansestadt hätte auf den Philippinen liegen können, der Wahlkampf – aller Parteien – wäre ebenso abgelaufen.

Aber zwei Lehren lassen sich jenseits von „Michel, Alster, Ole“ dann doch aus diesem Kommunalwahlergebnis ziehen. Zum einen fällt auf: Die CDU wird urbaner. Sie stellt die Oberbürgermeister in Hamburg, Frankfurt, Köln und Stuttgart. In NRW wird sie sich über die Eroberung weiterer Rathäuser an die Düsseldorfer Staatskanzlei heranrobben. Zum anderen, für Angela Merkel noch wichtiger: Die CDU gleicht allmählich ihre Südstaaten-Schlagseite aus, was der damalige Generalsekretär Volker Rühe 1990 schon einmal voreilig angekündigt hatte („nördlicher, östlicher und protestantischer“). Und um die notorisch konservativen Ministerpräsidenten in München, Stuttgart und Wiesbaden gruppiert sich inzwischen von Peter Müller und Dieter Althaus bis Ole von Beust und Christian Wulff eine Schar pragmatischer Regierungschefs, die es nicht zum Dogma erheben, dass alle Deutschen ihr Leben lang im gleichen Reihenhaus schlafen müssen.

Angela Merkel treibt die inhaltliche Modernisierung der CDU in Berlin selbst kaum voran. Als Königin ohne Land ins Amt gekommen, hat sie aus der Not eine Tugend gemacht und lässt jetzt ihre Territorialfürsten modernisieren. Allein dadurch, dass sie dies unkommentiert geschehen lässt, gewinnt sie Unterstützung von bislang machtarmen Landesverbänden. Entscheidend ist schließlich Jürgen Rüttgers: Siegt er bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, hat nicht nur Müntefering sein Pulver verschossen. Dann sind innerhalb der Union die Modernisierer tonangebend und Angela Merkel wird genug Truppen beieinander haben, um die Deutungshoheit der konservativen Parteifreunde im Süden zu erschüttern.

Und noch etwas zeigt Hamburg: Zu Recht ist lästerhaft bemerkt worden, von Beust sei nur deswegen so populär, weil er eine immense Projektionsfläche für Wählererwartungen biete. In der Tat, das ist ein wesentliches Element des Star-Wesens. Nur eine Cinemascope-Christdemokratie kann seinen Platz einnehmen. Damit ist die Frage nach der nächsten Kanzlerkandidatin eigentlich schon beantwortet.

Natürlich ist es fragwürdig, dass Politikdarsteller Politiker ersetzen könnten. Aber haben wir uns nicht längst daran gewöhnt? Der Kanzler hat in seiner ersten Amtsperiode ungezählte Male erklärt, seine Politik sei „ohne Alternative“. Wenn das so ist – linke Sozialdemokraten oder linke Christdemokraten bestreiten dies freilich bis heute zu Recht vehement –, dann kann Gerhard Schröder bedenkenlos durch jemanden ersetzt werden, der dasselbe entschlossener (Stoiber), unentschlossener (Merkel), skrupelloser (Koch), hemdsärmeliger (Müller), durchdachter (Wulff) oder netter (Ole) umsetzt. In Hamburg waren die inhaltlichen Unterschiede der großen Parteien nur noch in der Frage auszumachen, ob die landeseigenen Krankenhäuser zu 49 oder zu 51 Prozent an einen privaten Investor verkauft werden dürfen. Die Hamburger leisteten sich auch noch den Spaß, mit Dreiviertelmehrheit gegen die Pläne des Senats und mit absoluter Mehrheit für den Bürgermeister zu stimmen. Soll heißen: Kann man inhaltliche Auffassungen anderweitig dokumentieren, wird die Wahl erst recht als Persönlichkeitswahl wahrgenommen.

Aber es gibt auch noch handfestere Ergebnisse: Die CDU hat spektakuläre Ergebnisse nicht nur in den wohlhabenden Stadtteilen Eppendorf, Alsterdorf oder Blankenese eingefahren, sondern auch in den proletarischen Gegenden Wandsbek, Harburg oder im ländlichen Altengamme. Natürlich hat sie überall Schill-Wähler eingesammelt. Das aber erklärt nichts, denn vor 2002 gab es Schill-Wähler ja gar nicht. Das geht also eher Olaf Scholz’ SPD an: Die CDU hat diese Wahl nicht nur mit Villenbesitzern und Homosexuellen gewonnen, sondern ist mit Arbeitern, Verkäuferinnen und Doppelstaatsbürgern mehrheitsfähig geworden. Das verpflichtet, auch über diese schöne Stadt hinaus.

Wer die Frechheit besitzt, mit einem Viertel der Wählerstimmen ausgestattet eine absolute Mehrheit als Wahlziel zu definieren, der verspricht auch, sich um weit mehr als die eigene Klientel zu kümmern. Dieses unausgesprochene Versprechen ist das eigentliche Prinzip Ole.

MARKUS SCHUBERT