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Archiv-Artikel

„Leiden werden die Kinder“

Als Reaktion auf das Lehrerarbeitszeitmodell diskutieren Lehrer jetzt auch über Arbeitsniederlegung. Ein Interview mit der Landesvorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Stephanie Odenwald, die vor einem Jahr ihr Amt antrat

Interview: KAIJA KUTTER

taz: Wie ist das Lehrerarbeitszeitmodell noch zu stoppen?

Stephanie Odenwald: Wir prüfen natürlich den juristischen Weg. Wir haben einen renommierten Arbeitsrechtler, Harro Plander von der Bundeswehruniversität, beauftragt, ein Rechtsgutachten zu schreiben. Den Plan einer ‚einstweiligen Verfügung‘, wie es der Lehrerverband erwägt, halten wir für nicht erfolgsversprechend. Wir versprechen uns mehr davon, eine möglichst breite öffentliche Kritik an dem Modell zu erzeugen und Druck von den Betroffenen her zu entwickeln, damit das Modell vom Tisch kommt.

Rainer Schmitz, der Leiter der Arbeitszeitkommission, spricht von ‚hohen Besitzständen‘, die Hamburgs Lehrer verteidigen. Was sagen Sie zu diesen Vorwurf?

Wir erleben auf vielen Schulversammlungen, dass die Eltern sehr wohl verstehen, dass es hier um eine Verschlechterung für ihre Kinder geht. Mit dem Arbeitszeitmodell werden 1000 Stellen erwirtschaftet. Viele Kollegen werden wie am Fließband 30 Stunden und mehr unterrichten müssen. Zum Beispiel, weil die anspruchsvolle pädagogische Arbeit in Grundschulen sehr schlecht bewertet wird.

Gibt es Überlegungen, zu radikaleren Maßnahmen zu greifen?

Die gibt es natürlich, weil dieser Senat für Argumente sehr schwer zugänglich ist. Da können Lehrerkollegien und Eltern hunderte von negativen Stellungnahmen schreiben, die nützen nichts. Deshalb gibt es an den Schulen eine Stimmung, die sagt, es reicht, wir müssen jetzt die Arbeit niederlegen. Das andere, was wir tun werden, und was auch langfristig wirkungsvoll ist, ist zu sagen, wir beschränken uns nur noch auf die minimalen Pflichtaufgaben und machen keine zusätzlichen Dinge wie Klassenfeste oder Reisen.

Aber leiden werden dabei die Schüler, die Sie täglich sehen.

Das stimmt. Aber die Schüler leiden unter dem gesamten Arbeitszeitmodell, weil es zugleich größere Klassen durch die Bedarfsabsenkung von 3,2 Prozent gibt. Deshalb ist auch die Wut bei den Eltern sehr groß. Es gibt Eltern, die überlegen, Schulen zu blockieren oder ihre Kinder nicht mehr hinzuschicken.

Wie wahrscheinlich ist eine Arbeitsniederlegung?

Ich weiß, dass die Wut an den Schulen über diese bundesweit einmalige Arbeitszeitverlängerung groß ist. Das hat es so noch nie gegeben, da müssen wir zeigen, dass eine Grenze erreicht ist. Da wir aber auch mit Repressionen rechnen müssen, ist dies eine schwierige Entscheidung. Wir werden auf der Vertrauenleuteversammlung am 22. Mai darüber entscheiden, ob es eine Urabstimmung gibt.

Was drohte denn an Repression? Arbeitsplatzverlust?

Nein. Aber es geht um Geldbußen, Beförderungsstopp und Eintragungen in die Personalakte, wie bei vergangenen Arbeitsniederlegungen. Es gibt viele KollegInnen die in Teilzeit arbeiten, darunter viele alleinerziehende Frauen. Wenn die auf Geld verzichten sollen, ist das nicht ohne. Auch wenn viele denken, die Lehrer verdienen gut. Es gab in Hamburg in den letzten 15 Jahren zwei kürzere Arbeitsniederlegungen. Eine Ende der 80er und eine in den 90ern. Da gab es auch Disziplinarstrafen und Bußgelder, bei einzelnen Schulleitern war das ein ganzes Monatsgehalt. Aber bei der jetzigen Regierung kann man mit einer härteren Gangart rechnen.

Sie sind jetzt gut ein Jahr als GEW-Vorsitzende im Amt. Haben Sie sich das so vorgestellt?

Mir war klar, dass wir in Hamburg bei dieser Regierung schweren Zeiten entgegengehen und dass wir auf sehr zugespitzte Auseinandersetzungen zusteuern. Auch, dass diese Regierung sehr wenig dialogbereit sein wird. Auf der anderen Seite hat sich in dem Jahr gezeigt, dass die GEW imstande ist, breite Bündnisse zu schließen. Das ist das Positive. Wir haben die ‚Volkspetition Bildung‘ mitgetragen, wo 50.000 Unterschriften zusammenkamen, wir haben unsere Bildungsbündnis weitergeführt und sehr viele Diskussionen mit anderen Gewerkschaften gehabt, die uns jetzt auch bei der Arbeitszeitverlängerung den Rücken stärken.

Hat Sie etwas überrascht?

Die Radikalität, mit der diese Regierung das Bildungssystem umgestaltet. Sehr erschreckend ist, was mit den Berufsschulen geschieht. Dass sie einer Stiftung überführt werden, in der die Handelskammer das Sagen hat.

Wenn Sie auf dem Posten von Senator Lange wären, wie würden Sie mit der Arbeitszeit und dem Lehrerstellenplan verfahren?

Es gibt die Gefahr, das Ganze zu sehr zu personalisieren. Senator Lange allein ist nicht die Person, die Entscheidungen trifft. Er gehört zu einem System von Politik. Und ich würde bei dieser Art von Politik nicht mitmachen. Um eine bessere Bildung zu erreichen, muss es eine Grundlegend andere Politik geben. Das heisst, Priorität Bildung verwirklichen und den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.

Aber wenn schlicht Geld fehlt?

Es gibt schon die Möglichkeit für Hamburg, andere Schwerpunkte zu setzen. Ich finde es nicht so tragisch, wenn ein paar mehr Schlaglöcher in den Straßen sind oder die Polizisten weiter ihre alten Uniformen tragen. Oder wenn die 5 Millionen Euro für das Kunstwerk auf der Reeperbahn nicht ausgegeben, sondern in Bildung investiert werden. Wenn wir das Konzept ‚wachsende Stadt‘ ernst nehmen, müssen wir für die Bildung der nächsten Generation sorgen. Die Steuerpolitik unter Kohl hat dazu geführt, dass die Reichen immer weniger Steuern zahlen und die Lohnabhängigen immer mehr. Das ist eine Ursache dafür, dass heute die Staatskassen leer sind, weil die Parteien Politik für den oberen Teil der Gesellschaft machen.

Ließe sich denn mit dem bestehenden Schuletat besser planen? Die Lehrerarbeitszeitkommission hat sich mit dem Prinzip der ‚Auskömmlichkeit‘ einverstanden erklärt.

Es ärgert mich, wenn Herr Schmitz so tut, als wäre dies ein Naturgesetz. Diese Dimension von Steuerpolitik hat er überhaupt nicht im Kopf. Aber auch mit dem Geld, das da ist, könnte man vieles sinnvoller machen. Es kostet uns unglaublich viel Geld, dass wir nach wie vor dieses Sitzenbleiben und das dreiteilige Schulsystem haben. Sehr viele Schüler sind Wiederholer. Das kostet viel Geld. Wenn wir solche Reformen angingen, könnten wir auch Rescourcen gewinnen. Aber dafür müsste das Bildungssystem in Richtung einer Schule für alle umgestaltet werden. Das geht nicht von heute auf morgen. Bei all dem ist ein größerer Blick aufs Ganze nötig.