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Archiv-Artikel

TROTZ BUSH-AUFFORDERUNG: DER PROTEKTIONISMUS DOMINIERT Exporteure müssen mit Strafzöllen leben

Als EU-Handelskommissar Pascal Lamy letzte Woche unverrichteter Dinge aus den USA abreisen musste, da schien es, als sei die EU richtig überrascht, dass sie nun erstmals wirklich Handelssanktionen gegen die USA verhängen muss – es ist noch nicht abzusehen, wann die USA die unfairen Steuerschlupflöcher für Exportfirmen in reguläre Steuersenkungen umwandeln. Beim Mal davor war es noch gut gegangen: Lamy hatte bei einem Besuch in den USA im November Vergeltung für die Schutzzölle angekündigt, mit denen Präsident George Bush der angeschlagenen US-Stahlbranche unter die Arme gegriffen hatte – und einen Monat später lenkte Washington ein.

Doch jetzt herrscht Wahlkampf. Bush appelliert zwar im Interesse der betroffenen Industriezweige an die Abgeordneten, schnell ein Gesetz zu verabschieden, das mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) übereinstimme. Aber nicht einmal der Präsident kann die Parlamentarier dazu zwingen. Die Kongressmitglieder haben nämlich anderes zu tun, als sich um die Wünsche des Präsidenten oder der wenig geliebten EU zu kümmern.

Kümmern müssen sie sich hingegen um die Stimmung bei den Wählern, und die ist alles andere als pro WTO. Denn Freihandel erscheint ihnen als Hauptursache für Arbeitslosigkeit. Dass nicht nur Stahlwerker und Textilarbeiterinnen ihre Jobs an Billiglohnländer verlieren, sondern inzwischen auch Programmierer oder Buchhalter, hat die Mittelschicht – die entscheidende Wählergruppe in den USA – auf den Plan gebracht. Folgerichtig heißt der Entwurf der Republikaner nicht etwa ehrlich „Gesetz zur Senkung der Unternehmenssteuern“, sondern „Gesetz zur Schaffung amerikanischer Arbeitsplätze“ – was noch längst nicht erwiesen ist. Da auch die Finanzierung ungeklärt ist, wird auf dem Kapitol noch einige Zeit publikumswirksam gestritten werden. So lange spielt der Weltmarkt dort keine Rolle – trotz Bushs Aufforderung. Die US-Exporteure werden noch eine Weile mit Strafzöllen leben müssen. NICOLA LIEBERT