: Ganz ganz einzigartig in Europa
Die Bewerbungsschrift der Stadt Köln zur „Kulturhauptstadt Europas 2010“ geht im Kern auf das alte Stilmittel des Lobgedichts zurück. Nur der Superlativ kann schließlich zur Überzeugung beitragen
VON MARTIN STANKOWSKI
Als sich am 5. Januar 1531 die Kurfürsten des Deutschen Reiches im Kölner Dom versammelten , an ihrer Spitze Kaiser Karl V, fanden sie in ihren Sitzungsunterlagen einen Werbeprospekt der Stadt Köln. Neben der berühmten Stadtansicht des Anton Woensam enthielt dieses giveaway einen Lobgesang auf die wunderbare Kulturstadt, allein dazu bestimmt, ihren „ruhmreichen Namen über die Meere und unter die Völker der Welt zu verbreiten“. Autor war ein bekannter Humanist, Hermann von dem Busche, der sich an ein bewährtes Schema hielt: Die schönsten Fakten über Mensch, Haus und Geschichte der Kölner wurden in Superlativen zusammengefasst und in knappen Versen lateinisch formuliert und vom Autor zur Laute singend den Gipfelteilnehmern vorgetragen.
Das Lobgedicht ist aus der Mode gekommen, und wenn überhaupt nur noch versteckt zu finden. So wie in der vom Rat der Stadt beschlossenen Bewerbung Kölns zur Kulturhauptstadt Europas: ein 60seitiges Konvolut, das trotz aller langatmigen Erklärungen und stilistischen Mängel, trotz halbherziger Versprechungen und gewöhnlicher Plattitüden doch im Kern auf das alte Stilmittel des Lobgedichts zurückgeht. Man muss es nur herausschälen und von allem überflüssigem Beiwerk befreien – und sich vor allem auf die exzeptionellen Besonderheiten Kölns konzentrieren, die natürlich nur in der Form eines Komparativs oder Superlativs zur wirklichen Überzeugung beitragen. So heißt es in der Bewerbungsschrift (fast) wortwörtlich:
Köln, du Stadt mit den wichtigsten Reliquien nördlich der Alpen
Und der zweitgrößten frei schwingenden Glocke der Welt!
O Köln, mit deinem weltweit einzigartigen System von fünf Ringen.
Du Stadt am Rhein mit den meisten Brücken
Und einem innerstädtischen Grüngebiet, einzigartig in Europa.
Du Metropole mit dem prozentual höchsten Anteil türkischstämmiger Bevölkerung
Wie dem größten Fernsehsender in Deutschland.
O Stadt, die du die früheste erhaltene Großplastik Europas beherbergst
und die größte Universität Deutschlands,
den größten, prächtigsten und berühmtesten Reliquiensarkophag der Welt
sowie die größte Christopher-Street-Day-Parade des Kontinents.
O Köln mit unterirdisch archäologischen Stätten wie keine Stadt Europas
und der ersten festen Brücke über den Rhein,
ebenso dem größten Sender innerhalb der ARD.
Glückliche Stadt mit der ersten Messe für zeitgenössische Bildende Kunst auf dem Kontinent
Und dem meistbesuchten Gebäude des Landes,
ebenso dem einzigen Institut für Musikalische Volkskunde seiner Art in Deutschland.
O Köln, Du flächenmäßig größte Stadt – im Mittelalter,
Mit der ersten Zeitung mit einem Feuilleton im Lande
Und einem der größten und erfolgreichsten Literaturfestivals Europas.
Du bietest den einzigen innerstädtisch gelegenen Messestandort in Deutschland
Und versammelst die größte Christlich-Jüdische Gesellschaft des Landes.
O Köln, Du besitzt die größte Westfassade der Welt,
In Deinen Archiven die bedeutendste Urkundensammlung des Mittelalters nördlich der Alpen
sowie der weltweit erste Stadtplan aus der Vogelperspektive,
während der größte und älteste schwul-lesbische Sportverein Europas Deine Straßen belebt
und das Studio für elektronische Musik das bedeutendste Pilotprojekt in der Musikalischen Nachkriegsgeschichte ist.
O Köln, Du besitzt die erste institutionalisierte Kinderoper im deutschen Sprachraum
Und pflegst die meisten Städtepartnerschaften in Deutschland.
In kaum einer anderen deutschen Stadt leben und arbeiten so viele Künstlerinnen und Künstler – zum Teil mit Weltrang.
Du rühmst Dich als eines der bedeutendsten Handelszentren Nordwesteuropas – im Mittelalter
Sowie der ersten deutschen Professur für Tanzwissenschaft.
O Köln, mit dem größten privaten Arbeitgeber am Rhein.
In Dir findet sich das höchste Gewölbe aller gotischen Kathedralen
Und Europas größte Musikhochschule,
das größte Chorgestühl Deutschlands
und das modernste Opernhaus – zu seiner Zeit.
O Köln, Du nennst den größten europäischen Glasmalerzyklus des 14. Jahrhunderts dein Eigen
Sowie Deutschlands älteste, größte und wichtigste Jazzabteilung, die eine Musikhochschule je besaß.
In Deinen Mauern findet sich eine der größten Sammlungen an Theatralia – in Wahn.
Du rühmst Dich der Nachbarschaft Brühls mit dem weltweit größten Max-Ernst-Museum,
Vor allem aber mit Deinem nachhaltigsten Beitrag zum Zusammenwachsen Europas: Konrad Adenauer.
Der Autor arbeitet als Publizist („Köln, der andere Stadtführer“, KiWi 2003), Geschichtenerzähler und Rundfunkautor in Köln. Zur Diskussion um die Kulturhauptstadt siehe auch die Beiträge in der taz vom 12.2, 18.2 und 26.2. 2004. Am 11. März um 20.30 Uhr veranstaltet die taz in der Filiale der Mayerschen Buchhandlung am Kölner Neumarkt eine Diskussion mit prominenter Besetzung zum Thema: „Leben wir das? Köln als Kulturhauptstadt“.