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Archiv-Artikel

Grashüpfers Albtraum

Wenn der Fliegenmörder kommt, stirbt das Tier den Flammentod

Ich bin – und ich kann Zeugen bringen – eine Seele von einem Menschen. Ich war Ministrant, ich habe den Dienst mit der Waffe verweigert. Trotzdem ist da diese Phase in meiner Kindheit, die mir noch heute Sorgen macht. Eine frühe Phase einer, nun ja, glücklichen Kindheit.

Vorschulzeit, ich trug die Sportschuhe meines Bruders. Sie waren mir zu groß. War ich wirklich glücklich, war ich wirklich sanft? Damals? Oder war mein frühes Es in Wirklichkeit ein Mister Hyde? Der nur dank eines Tag und Nacht hart arbeitenden Überichs im Zaum gehalten werden konnte? Dann rufe ich mir zu: „Du warst doch Ministrant und hast den Dienst mit der Waffe verweigert!“ Das beruhigt mich aber nur kurz, denn wie heißt es über sanfte Menschen: „Der kann keiner Fliege etwas zuleide tun.“ Ich beziehungsweise der Mister Hyde in mir konnte. Und nicht nur den Fliegen! Aber mit den Fliegen begann es.

Fliegen waren meine ersten Opfer. Ich baute ihnen kleine Käfige aus Korkscheiben, die ich mit Stecknadeln verband. In diese Käfige stopfte ich die Fliegen, die ich zuvor äußerst behende eingefangen hatte. Unter dem Vorwand, einem diffusen Forscherdrang zu folgen, formulierte ich als Ziel, den Haftfaktor und die Brennbarkeit von Uhu-Klebstoff testen zu wollen. Nur so viel: Die Testreihe begann damit, dass ich die Fliege mit einem Tropfen Uhu auf einer feuerfesten Unterlage fixierte …

Ich weiß, es ist furchtbar, aber es ist noch nicht alles. Aufgrund meiner Fliegen-Experimente verrohte ich offenbar in kürzester Zeit dermaßen, dass alle Schranken fielen und mein damals offensichtlich abartiges Unterbewusstsein nach immer neuen Sensationen gierte.

Wieder war mir die Forschung Vorwand und Deckmantel. Ich gründete ein Institut zum Zwecke der Grashüpferdressur. Ich wollte Grashüpfer durch Reifen hüpfen lassen. Selbstverständlich fiel es den Grashüpfern nicht im Traum ein, meinen herrischen Aufforderungen zu folgen. Meine Geduld, der es bedurft hätte, um den im Wesen uneinsichtigen Grashüpfer zu überzeugen, war rasch erschöpft. Und ebenso rasch ergriff ich drastische Maßnahmen. Ich wollte den Hüpfern zeigen, was ihnen blühte, wenn sie meinen Forderungen nicht nachkamen. Ich statuierte ein Exempel.

Dazu brauchte ich nur zwei Dinge: Tesafilm und „Judenfürze“. Kleine, in Zehnerstreifen zu erwerbende Knallkörper, billig und für den Menschen völlig ungefährlich. Für den Grashüpfer aber fürchterliche Sprengladungen. Die Tastatur sträubt sich unter meinen Händen, ich will es trotzdem nicht verschweigen. Ich befestigte nicht nur den „Judenfurz“ mit Tesafilm auf einem der unglücklichen Grashüpfer. Ich entzündete auch – britzel, britzel – die winzige Zündschnur und überantwortete den Hüpfer seinem Schicksal. Der Arme! In seinem winzigen Gehirn mag er für Sekunden an Freiheit gedacht haben. An sorglose Tage, in blühenden Wiesen …

Und dann setzte er an: hüpf, hüpf, hüpf, hüpf – rrrrrummmms!!! Nichts blieb zurück als verkohlte Gliedmaßen. Und ein heiser kichernder Knabe in übergroßen Sportschuhen.

ALBERT HEFELE