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Archiv-Artikel

Weiblich, katholisch, jünger – die unkonventionelle Alternative

Annette Schavan, CDU-Bildungsministerin in Baden-Württemberg, ist nun die potenzielle Kandidatin. Trotz Turbokarriere passt sie nicht ins liberal-konservative Schema

Sie wäre die jüngste. Sie wäre die erste Frau. Und sie wäre wohl auch die intellektuellste Inhaberin dieses Amts. Annette Schavan, 48, CDU-Politikerin und Kultusministerin, hat seit gestern beste Chancen, Bundespräsidentin zu werden. Sie, über die vergangene Woche noch kaum jemand sprach, gilt plötzlich als Favoritin für das höchste Staatsamt. Wird sie die Nachfolgerin Johannes Raus – oder die Schäubles und auf ähnliche Art als Kandidatin hochgejubelt und abserviert?

Schavans Biografie weist sie als Teil des politischen Apparats aus. Bereits mit 20 ist die 1955 geborene Rheinländerin „sachkundige Bürgerin“ im Schulausschuss der Stadt Neuss – und bereitet sich statt aufs Matheabitur auf eine Sitzung vor. Sie geht in den Stadtrat und taucht 1993 erstmals in einem Schattenkabinett (bei Christian Wulff) auf. 1995 wird sie Ministerin in Baden-Württemberg. Sie erhält den Spitznamen „Turboministerin“, weil sie schnell zu einer der anerkanntesten Politikerinnen des Landes wird. Ist die Katholikin, die männliche Neider im Kabinett als „verdammt ehrgeizig“ schmähen, eine Karrieristin des Establishments?

Nein, die Bewunderung, die Annette Schavan auch aus dem fernen PDS-Milieu erfährt, hat mit ihrer Intellektualität und ihrem Charisma zu tun. „Sie steht im Vordergrund“, urteilt ein Staatssekretär, der weit links von ihr aktiv ist, „weil sie Aufmerksamkeit erregt, ohne darum ringen zu müssen.“ Oder anders gesagt: „Die hat Stil.“

Schavans politischer Stil ist schwer einzufangen. Sie beherrscht es, den Kanzler im Bundestag nach allen Regeln der Kunst vorzuführen. Sie scheut sich dabei nicht, konservative Kampfbegriffe wie „Kuschelpädagogik“ zu verwenden und die vorsintflutliche dreigliedrige deutsche Schule zu verteidigen. Nur lässt sich die unverheiratete katholische Laiin keinesfalls als verbitterte Hardlinerin einordnen. Dafür ist sie viel zu charmant, dafür kann sie zu schön strahlen, dafür hat sie die Begabung, „auf ganz unterschiedliche Leute zuzugehen“. So urteilt eine langjährige Mitstreiterin aus dem katholischen Milieu über Schavan. „Sie ist alles andere als eine dogmatische Frau“, geht die kleine Hommage weiter, „sie ist kein Weltverbesserungstyp, sie akzeptiert jeden als eigene Person.“

Um die Schavan zu verstehen, hilft vielleicht der Brückenschlag von Baden-Württemberg nach Hamburg. Denn die konservative Ministerin aus dem Südwesten ist genauso in der Lage, dezidiert die liberaleren Positionen einer Großstadt-CDU zu vertreten. Von ihrer Schulpolitik wurden zunächst nur das Turboabitur und die verstärkte Kanonisierung der Oberstufe wahrgenommen. Tatsächlich begann Schavan bereits 1998, mit dem „Schulanfang auf neuen Wegen“ zu experimentieren – einem fächerübergreifenden Schulstart, der alle historischen Strukturfehler der deutschen Schule bekämpft. Noch heute, sechs Jahre später, preisen andere Bundesländer diese Reform gern als progressivstes Element, das sie anzubieten haben.

Nicht einmal der Kopftuchstreit, dessen Urheberin Schavan ist, lässt eine einseitige Deutung ihrer politischen Haltung zu. Von den einen wird Schavans Ablenhung der Kopftuch tragenden Lehrerin Fereshta Ludin als ihr intellektuelles Meisterstück gewertet, von anderen als konservatives Manifest. Dabei hat Annette Schavan die angehende Lehrerin Ludin, trotz Kopftuchs, das Referendariat absolvieren lassen. „Ich habe damals die Tatsache zum ausschlaggebenden Argument gemacht, dass der Staat das Monopol in der Lehrerausbildung hat“, begründet sie das. In dem Moment aber, da Ludin sich weigert, ihr Kopftuch als Lehrerin im regulären Schuldienst abzunehmen, lehnt Schavan ihre Einstellung ab. „In diesem Fall ist es die Neutralität der ausschlaggebende Punkt, weil wir beim Kopftuch nicht allein über ein religiöses Symbol, sondern über ein politisches Zeichen sprechen, das auch für die Unterdrückung der Frau steht.“ Und was ist mit dem Kreuz im Klassenzimmer? „Zum Zeitpunkt der Kreuzzüge hätten wir auch Kreuze aus den Schulen entfernen müssen“, sagt sie.

Annette Schavan hat eine gewisse Berühmtheit als Verfechterin neuer, hoher Standards für die Schule erlangt. Womöglich kann sie bald als junge katholische Bundespräsidentin einen neuen Standard in der Politik setzen. CHRISTIAN FÜLLER