: Der Griff zur Wanze ist selten und teuer
Abhöraktionen in Wohnungen sind eine ermittlungstechnische Randerscheinung. Sie sind schon bisher zu aufwändig und zu teuer
KARLSRUHE taz ■ Bisher hat der große Lauschangriff vor allem politischen Wirbel verursacht. In der Polizeipraxis spielte er keine große Rolle. Von 1998 bis 2001 gab es, den Berichten der Bundesregierung zufolge, nur 116 Einsätze dieser Technik. Das sind bundesweit weniger als 30 Fälle pro Jahr. Im Vergleich zur Telefonüberwachung, die jährlich mehrere tausendmal eingesetzt wird, ist der Lauschangriff also eher marginal.
Der Grund dafür wurde bei der mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts im Juli 2003 deutlich: Lauschangriffe sind meist aufwändig und sehr teuer. Es bedarf oft mehrwöchiger Vorbereitung, um eine Wohnung unauffällig und an den passenden Stellen mit Mikrofonen zu bestücken. Kostenintensiv ist auch die Auswertung der Gespräche, insbesondere wenn nicht Deutsch gesprochen wird. So kostete etwa ein Lauschangriff in Brandenburg 80.000 Mark, davon allein 76.000 Mark für die Übersetzung.
Auch dort, wo Lauschangriffe durchgeführt wurden, hatten sie nur in rund 40 Prozent der Fälle Auswirkungen auf das spätere Gerichtsverfahren. Typisch ist eine Statistik aus Hessen. Dort gab es von 1998 bis 2000 genau 16 Fälle der „akustischen Wohnraumüberwachung“. Viermal scheiterte der Lauschangriff an technischen Schwierigkeiten, etwa weil die Wanze nicht funktionierte. Einmal hatte der Verdächtige die Wohnung schon aufgegeben, bevor die Abhöraktion begann. Nur fünfmal ergaben sich verwertbare Ergebnisse, die in einem Fall sogar zur Entlastung des Verdächtigen führten.
Der Lauschangriff wird bisher fast ausschließlich zur Aufklärung von Mord und Totschlag sowie bei Drogenkriminalität eingesetzt. Bei politischen und terroristischen Delikten ist, den Berichten zufolge, bisher kaum in Wohnungen abgehört worden. Die Drogendelikte werden fast durchgängig der organisierten Kriminalität zugeordnet, die Tötungsdelikte in der Regel nicht. Auftragsmorde der Mafia sind in Deutschland eher selten. Meist handelt es sich um Mord und Totschlag im persönlichen Bereich. Hier geht es eben nicht um die Aufklärung streng abgeschotteter krimineller Banden, vielmehr greift die Polizei zur Wanze, weil sie auf anderem Wege nicht weiterkommt und auf ein Geständnis im privaten Umfeld hofft.
Genauere Informationen über die Praxis des Lauschangriffs wird ein Gutachten des Freiburger Max-Planck-Instituts für Kriminologie und Strafrecht bringen, das im Sommer diesen Jahres veröffentlicht wird. Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) betonte gestern, dass sie Pläne zur Neuregelung des Lauschangriffs erst vorlegen wird, wenn das von ihr in Auftrag gegebene Gutachten fertig gestellt ist.
Vermutlich wird es bei der Umsetzung des gestrigen Urteils nicht nur um Einschränkungen des Lauschangriffs gehen. Gerade weil Abhöraktionen künftig aufwändiger werden (siehe oben), werden Länder und Opposition auch ihre Pläne zur Effizienzsteigerung wieder auf den Tisch legen.
Die Polizei darf zwar heute schon in Wohnungen einbrechen, um Wanzen zu installieren. Auch darf sie sich zu diesem Zweck durch Täuschung Zugang verschaffen. In den letzten Jahren hatten jedoch zahlreiche Bundesländer vorgeschlagen, auch Hausmeister oder Schlüsseldienste zur Hilfe zu verpflichten, um die Installation von Wanzen zu vereinfachen. Ministerin Zypries hat dies gestern jedoch erneut abgelehnt. Das Verfassungsgericht nahm hierzu keine Stellung.
Effizienter soll die Wohnraumüberwachung auch durch Spähangriffe werden. Die CDU will damit die Zuordnung der Stimmen zu Personen verbessern sowie die stumme Übergabe von Geld oder Drogen überwachen. Doch auch hierfür sieht Justizministerin Zypries „keinen Bedarf“. CHRISTIAN RATH