: Die jahrelange Räumung
Der Streit um die Rigaer 94 hat schon lange kaum mehr politische Wirkung. Gestern rückten mal wieder Gerichtsvollzieher und Polizei an. Fünf Wohnungen stehen nun leer
„Zu zahm“ fand Markus G. die Räumung der Rigaer Straße 94 in Friedrichshain. Und ganz sicher meinte er nicht die Polizei. Denn die behelmten Einsatzkräfte gingen durchaus rabiat vor, als sie gestern, morgens um 5 Uhr, etwa 50 Demonstranten mit Schlägen und Tritten vom Hauseingang wegdrängten. Der 28-Jährige meinte den Widerstand.
Ein paar Flaschen flogen, in der Straße lagen ein paar ausgebuddelte Pflastersteine – aber bevor der Gerichtsvollzieher pünktlich wie angekündigt samt Eigentümer Suitbert Beulker den Hof betrat, war die inzwischen auf rund 300 Demonstranten angewachsene Menge bereits außer Reichweite.
Es ging um fünf Wohnungen im Hausprojekt Rigaer Straße 94. Der Streit wurde in den letzten Monaten vor allem rechtlich ausgetragen. Denn juristisch ganz eindeutig sind die Wohnverhältnisse nicht geklärt. Die Häuser, die vor 13 Jahren tatsächlich mal illegal besetzt wurden, bekamen bereits zwei Jahre später Rahmenmietverträge – zu damals günstigen Bedingungen für alle Beteiligten. Anfang der 90er-Jahre wimmelte es nur so von leer stehenden Häusern im bröselnden Ostbezirk Friedrichshain, damals europaweit das Mekka der Hausbesetzer. Doch die Zeiten änderten sich. Heute ist der Kiez weitgehend saniert; inzwischen sehen selbst die einst besetzten Nachbarhäuser mit ihren bemalten Fassaden ganz bewohnbar aus – nicht nur für Punks, Ökos und Autonome.
Das befand auch Immobilienbesitzer Beulker. Er kaufte vor zwei Jahren unter anderem die Rigaer 94. Seitdem ist es auch hier mit linksidyllischem und herrschaftsfreiem Wohnen vorbei. „Beule“, wie ihn seine verhassten Mieter nannten, kündigte allen 20 Bewohnern den Rahmenmietvertrag und errang gerichtlich zumindest einen Teilerfolg. Die Veranstaltungsräume im Erdgeschoss wurden bereits im September geräumt. Auch zu fünf Wohnungen hat er seitdem Zugang – und mit polizeilicher Hilfe betritt er auch mal „aus Versehen“ die Nachbarwohnungen, was ihm rechtlich eigentlich nicht gestattet ist.
Das moniert der Anwalt der Bewohner und findet den richterlichen Beschluss insgesamt fragwürdig. Der alte Rahmenmietvertrag sei nach wie vor gültig, ein neues Urteil des Kammergerichts stehe in den nächsten Wochen noch bevor, die Räumung zu diesem Zeitpunkt sei daher überzogen.
Politisch ist der Zug schon lange abgefahren. Die Bewohner und ihre Symphatisanten sprechen zwar von „Utopien im Alltag“, „Erhalt linker Strukturen“ und dem „Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse“. Das trugen sie auch auf ihrer Demonstrationen am Vorabend vor, bei einer Demonstration mit über 1.000 Teilnehmern durch den Friedrichshainer Kiez. Aber politische Krisen wie 1990, als die Räumung der besetzten Häuser in der Mainzer Straße zum Bruch des rot-grünen Senats führte, sind nicht mehr zu befürchten.
Das wissen auch die einstigen Schutzengel der Hausbesetzer, der Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele, Baustadtrat Franz Schulz (beides Grüne) und die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg Cornelia Reinauer (PDS). Alle drei erschienen zwar gestern zur Räumung. Aber auch sie folgen längst der offiziellen Linie der Innenverwaltung: Der Streit sei rein zivilrechtlich – zwischen Eigentümer und Bewohnern.
Die Polizei geht noch weiter. Zwar ist sie mit einem Großaufgebot präsent und die ganze Nacht knattert ihr Hubschrauber über den Dächern. Aber den Begriff Räumung will die Polizei nicht in den Mund nehmen. Es handele sich ganz allein um Vollziehungsschutz für den Gerichtsvollzieher, weist Einsatzleiter Michael Knape anwesende Journalisten zurecht. Daher werde es auch keine Strafanzeigen und Festnahmen geben.
Die gab es dann aber doch. Im Anschluss an die Räumung trafen sich die Demonstranten zur Spontankundgebung in der Niederbarnimstraße. Zwei wurden festgenommen. Zumindest aus ihrer Sicht bleibt der Streit um die Rigaer 94 politisch. FELIX LEE