: Serbien auf dem Weg in die Isolation
Wird die neue Regierung von Premierminister Koštunica die Spannungen in der Region verschärfen?
Immerhin ist es Vojislav Koštunica gelungen, in Serbien eine Regierung auf die Beine zu stellen und mit 130 gegen 113 Stimmen im Parlament bestätigen zu lassen. Nach den Wirren der letzten Monate ist das immerhin etwas. Indem der neue Regierungschef mit dem Vorsitzenden der G 17-plus-Partei, Miroljub Labus, einen ausgewiesenen Wirtschaftsfachmann zum Vizeregierungschef erhob, hat er ein positives Zeichen gesetzt. Doch damit hört das Lob schon auf.
Denn die neue Regierung Serbiens hat sich in eine unheilvolle Abhängigkeit von der Sozialistischen Partei begeben. Man stelle sich vor: Der nach dem Sturz von Slobodan Milošević 2001 zum jugoslawischen Präsidenten aufgestiegene Koštunica lässt sich von den Gefolgsleuten des in Den Haag wegen Kriegsverbrechen vor Gericht stehenden Expräsidenten ins Amt des Premierministers Serbiens wählen. Nicht nur das. Er verspricht den Sozialisten sogar, dass seine Regierung niemanden mehr an Den Haag ausliefern werde. Mutmaßliche Massenmörder wie Ratko Mladić sollen sicher in Serbien leben können. Sein Hinweis, des Kriegsverbrechens Verdächtigte könnten in Serbien abgeurteilt werden, lenkt nur ab. Welche Zeugen aus Bosnien würden in Belgrad aussagen, wo sich ihre Peiniger frei bewegen?
Koštunica hat sich zudem als nachtragender Politiker erwiesen, indem er die Demokratische Partei des vor einem Jahr ermordeten Zoran Djindjić von der Koalition aus seiner Serbischen Demokratischen Partei, der Serbischen Erneuerungsbewegung und der G 17 plus fern hielt. Zwar hatten die Demokraten ebenfalls mit harten Bandagen um die Macht gekämpft. Ein Politiker von Format muss jedoch angesichts der „staatspolitischen Notwendigkeiten“ über diese Dinge hinwegsehen können. Hätte er dies getan, dann stünde er jetzt anders da.
Kritische Intellektuelle in Serbien werfen Koštunica deshalb vor, er habe sich nach dem Sturz Milošević’ nicht wirklich von der serbischen Ideologie befreit, von dem Opfermythos, mit dem die serbischen Untaten während der letzten Balkankriege entschuldigt und umgedeutet werden. Koštunica repräsentiere das kleinbürgerlich beschränkte und durch christlich-orthodoxe Orientierungsmuster bestimmte vorherrschende Bewusstsein.
Abhängig von den Milošević-Leuten steuert er Serbien in eine Konfrontation mit EU und Nato. Javier Solana wies darauf hin, die Verpflichtungen Serbiens in Bezug auf das Kriegsverbrechertribunal müssten eingehalten werden, nur so könnten Fortschritte hinsichtlich der Integration in die EU unternommen werden. Auch die Nato warnt, die Integration der serbischen Armee in die „Partnerschaft für den Frieden“ sei gefährdet.
Koštunica riskiert also die erneute Isolation Serbiens. Nicht nur gegenüber den internationalen Organisationen. Auch gegenüber den Nachbarländern. Und die demokratischen Kräfte in Belgrad sind nach der Euphorie vor drei Jahren auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Sie müssen trotz aller Kritik die Kröte Koštunica schlucken und auf Labus hoffen. Die Alternative wären Neuwahlen. Und da könnte es noch schlimmer kommen. Denn darauf wartet nur die stärkste Partei Serbiens, die rechtsextremistische „Radikale Partei“, der nur ein paar zehntausend Stimmen fehlen, um die Macht im Lande zu übernehmen.
ERICH RATHFELDER