: Kataloge der Ineffizienz
Gibt es einen gerechten Nachkrieg? Im Potsdamer Einstein Forum wurde über den schwierigen Wiederaufbau im Irak diskutiert
von JAN ENGELMANN
Wenn der Eindruck nicht täuscht, dann ist der Irak für die USA eine Verfügungsmasse, die man nach der Beendigung des Krieges genauso behandeln darf wie zuvor. Die dringend benötigten Hilfsgüter werden aufgrund von Sicherheitsvorbehalten nicht zügig angeliefert, die Versorgung mit Medikamenten ist katastrophal, in den Krankenhäusern fehlt es so ziemlich an allem. Die Verteilung von Essensrationen wird gerne zu „foto opportunities“ genutzt, um die Welt glauben zu machen, dass alles seinen gewohnten Gang geht. Irgendwie. Und so ernennt man den Exmanager einer Rüstungsfirma und einen Terrorismusexperten zu denjenigen, die das Chaos verwalten sollen.
Würde der amerikanische Sozialphilosoph Michael Walzer sein Buch „Gibt es den gerechten Krieg?“ von 1977 heute noch mal schreiben, er dürfte nicht versäumen, der Frage „Gibt es einen gerechten Nachkrieg?“ ein eigenes Kapitel zu widmen. Niemand in State Department und Pentagon scheint sich über Verfahrensregeln, wie man einen ohnehin schon völkerrechtswidrigen Krieg nicht noch fahrlässig zur humanitären Katastrophe ausweitet, vorher übermäßig den Kopf zermartert zu haben. Bald kommen ja die polnischen Putztrupps, die den Müll zusammenkehren. Ihre Ausgangslage ist, wie die der irakischen Bevölkerung, nicht gerade beneidenswert.
Am allerwenigsten müsste ein solches Buch, das die unterschiedlichen Interessen bei einem Wiederaufbau zu wägen hätte, wohl Hans von Sponeck empfohlen werden. Denn der ehemalige UN-Koordinator in Bagdad weiß nur zu gut, dass der brüske Unilateralismus der USA schon während der zwölfjährigen Wirtschaftssanktionen gegen den Irak die Einhaltung humanitärer Mindeststandards verhinderte.
Von Sponeck skizzierte am Dienstag bei der Konferenz „Iraq: Just Solutions?“, veranstaltet vom Potsdamer Einstein Forum, einen abweichenden Sechs-Punkte-Plan. Er forderte die alleinige Verantwortung des UN-Sicherheitsrats bei der Kontrolle des Wiederaufbaus; eine direkte Kommunikation zwischen den Entscheidungsgremien der UN und den Gesandten vor Ort; eine Erneuerung der institutionellen Struktur der UN, um schnelleren Informationsaustausch und Feedbacks zu gewährleisten; die völlige Abkehr von der Finanzierungspraxis des „Öl für Lebensmittel“-Programms (wo die Erträge zu großen Teilen in den kurdischen Norden und in den Genfer Kompensationsfonds flossen); eine rasche Beseitigung militärischer Hinterlassenschaften (wie Uranrückstände) sowie humanitäre Sofortmaßnahmen (wie Seuchenschutz und Ernährungsprogramme für Kinder und Schwangere).
Von Sponeck erwies sich damit trotz seines spektakulären Rücktritts von seinem UN-Posten als unbeirrbarer Anwalt der Völkergemeinschaft. Moralische Unterstützung erhielt er von Scott Ritter, seines Zeichens Parteifreund von George W. Bush und ehemaliger UN-Waffeninspektor im Irak. Ähnlich wie von Sponeck, der bis zum Abhören seines Telefons von den USA an der kurzen Leine gehalten wurde, habe auch er sich gelegentlich dazu missbraucht gefühlt, die Iraker zu verärgern. Seinen Ärger darüber hielt Ritter nicht zurück: „Wie lange möchte man eigentlich noch Anhängsel einer imperialen Macht sein?“
Die Philosophin Joy Gordon, die den Ausdruck „Kühler Krieg“ für das harte Sanktionsregime wählte, präsentierte einen ganzen Horrorkatalog der Ineffizienz. Fraglich sei, ob die Amerikaner sich den bürokratischen Aufwand, eingeführte Chlor-Kanister wegen ihrer möglichen „dualen Nutzung“ haarklein zu verfolgen, weiterhin leisten könnten. Denn die Zeit dränge. Erziele man bei den Trinkwasseranlagen keine schnelle Verbesserung, so drohten schon bald Epidemien.
Das kollabierte Gesundheitssystem, das einst auf dem Stand von Industrienationen war, ist aber nur das offensichtlichste Problem im Irak. Beinahe ebenso wichtig wäre es, nachhaltige politische Schritte in die Wege zu leiten. Doch wie soll man die diversen Parteien und ethnischen Gruppen an der Macht beteiligen? Wie setzt man Gebietskörperschaften ein, um die Retribalisierung zu verhindern? Wie begrenzt man die organisierte Kriminalität? Und wie schließlich lehrt man die Verantwortlichen, denen Shareholder nun den Marsch blasen, die Tugend der Geduld? Fragen über Fragen. Und kein Buch ist zur Hand, das einem die Antworten einfach abnehmen könnte.