Der Garten der Eltern

Eine glückliche Mischung aus Filmfest, Viva-Party und Documenta 11: In Oberhausen sind die 49. Internationalen Kurzfilmtage zu Ende gegangen

In vielen deutschen Beiträgen sind die Türen zur politischen Form blockiert

von MANFRED HERMES

Die Filmkritik liebt die Metapher. Hier ist also eine: Jeder Film ist auch ein Globus. Manchmal sind diese Globen völlig mit Gras bewachsen, es gibt Sprinkleranlagen, und man zählt zwei, drei Vorstadthäuser. Manchmal sind sie wie eine Decke, die aus anderen medialen Bildern gehäkelt ist. Manche sind glitzernde Bälle aus Spiegeln und Rahmen. Und wieder andere bestehen ganz aus Fenstern und Türen.

Auf den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen kann man sie alle wie in einem Atlas übersehen. Der deutsche Wettbewerb spielt dabei die Rolle eines Festivals deutscher Filme im Kleinen. In diesem Jahr bildete hier die Found-Footage-Abteilung einen Schwerpunkt. Das aus der Appropriation-Idee abgeleitete Genre macht glamouröses Altes zu glamourösem Neuen. Matthias Müller ist auf diesem Gebiet der Pionier und hat mit seinen „Home Stories“ für lange Zeit die Themen und den Look bestimmt. Inzwischen hat sich die Lage ausdifferenziert. Müller wechselt in „Manual“ von Menschen- zu Maschinenbildern und macht aus den sanften Klicks umgelegter Schalter filmischen Minimal Techno. Auch bei Kai Zimmer, der in „Transitions“ Straßenbilder und panning shots (horizontale Schwenks) aus US-Filmen inklusive ihrer loungigen Scores benutzt, wird der Fetischismus nicht gerade auf unattraktivem Niveau betrieben.

In anderen deutschen Filmen spielen andere Double-binds eine Rolle. „Sommerhitze“ von Katja Frederiksen zeigt Kleinstadt zwischen Elternpiddeligkeit und kleinen Übertritten. Frederiksens Lakonie, bei erstaunlich trockenem Witz, neigt aber auch zu einer Starre, die sehr typisch ist. Massenhaft Mittelstandspositionen, die sich als solche nicht kenntlich machen, die sich aber an negativen Definitionen versuchen: Wir sind eine Klasse mit wenig Spaß, ohne Zärtlichkeit oder Sinnlichkeit. Selbst Blumen, da sie ja im Garten der Eltern wachsen, werden zu einem Ausbund an Hässlichkeit.

Der heute als so zwingende Realität sich setzende Infantilismus von Coming-of-Age-Szenarien wird vielfältig variiert. Alles in allem zeigen sich die ödipalen Divergenzen in befremdlich hermetischen Entfremdungsmetaphern. Vielen angeblichen Visionen fehlt es zudem an jeder Bereitschaft, die Blockaden des Akademismus zu durchbrechen. Die Filme neigen zu kugelförmiger Perfektion, deren einzige Globalstrategie die Vermeidung des Scheiterns ist. Angesichts der gesellschaftlichen Verschärfungen wirkt die Weigerung, sich mit ökonomischen oder Arbeitsverhältnissen abzugeben, pathologisch, und ich werde das – noch dumpfe – Gefühl nicht los, dass dieser Mangel auf vielfältige strukturelle Defizite verweist.

Es ist das Verdienst des Festivalleiters Lars Henrik Gass, dass er diese in Oberhausen ohnehin unvermeidlichen Subjektivismen von Anfang an durch ein Crossover diverser Medien-Subkulturen relativiert hat. Deshalb waren die Filmtage glücklicherweise ja auch das: eine Mischung aus Filmfest, Viva-Party und Documenta 11.

Glücklicherweise gibt es auch den internationalen Wettbewerb und die Nebenreihen, wo die Qualen des deutschen Segments mehr als ausgeglichen werden. Ein vielköpfiges Kuratorenteam hat in diesem Jahr unter dem postkolonial schillernden Titel „re<lokal>isierung“ fast dreißig Stunden Material zusammengetragen. Hier findet die eigentliche Auseinandersetzung um Form und gesellschaftliche Funktion des Kurzfilms statt, als Medien der politischen Vergewisserung, der Darstellung ökonomischer Zusammenhänge und des Arbeitens mit künstlerischen Sprachen zu politischen Zwecken.

Ob man einen libanesischen Crossdresser erzählen hört, das eiskalte Händchen aus argentinischer Sicht durch die Geschichte laufen sieht, oder, wieder in Beirut, der Aktivistin Tina Naccache zusieht, wie sie beim Waschen von Wäsche eine Theorie der Rekultivierung einer vom Krieg zerstörten Zivilität entwickelt: In fast jedem Beitrag werden jene Fenster aufgestoßen, die in deutschen Filmen oft so dicht verschlossen bleiben.

In dem hochkomplizierten Geflecht kuratorischer Internationalitäts- und Stringenzansprüche entstehen Bewegungen in unerwarteter Richtung. Angesichts der Filme schlägt jede Annahme einer westeuropäischen Privilegiertheit in ihr Gegenteil um: Das Aufstoßen blockierter politischer Türen ist in Deutschland eher noch nötiger als in den Herstellungsländern, deren Kämpfe wir aus einer vermeintlich sicheren Distanz goutieren.

Auf kluge Weise hat denn auch Ian White die „re<lokal>isierungs“-Vorgaben unterlaufen: Er hat sich auf britische Filme beschränkt, etwa auf die in den Dreißigerjahren von Ruby Grierson für die Regierung gedrehten Lehrfilme über den Aufbau von Gemeindezentren. „Today and Tomorrow“ (1936) stand hier für eine Kulturpolitik, der es noch um Antworten auf die Depravationen der Massenarbeitslosigkeit ging. Eine neuer Blick auf alte Kulturpolitiken würde auch in Deutschland anstehen. Und sicher wäre kein Ort dazu besser geeignet als die Kurzfilmtage Oberhausen, das sozialdemokratische Kulturgestein, das im nächsten Jahr 50 wird.