Kein Abzocken unter dieser 01 90-Nummer

Vom Rindfleisch bis zum Bahntarif: Mit einem Aktionsplan will Ministerin Künast die Rechte der Konsumenten stärken

BERLIN taz ■ Es gibt Entscheidungen, da weiß auch eine Verbraucherministerin nicht mehr weiter: „Können Sie einen effektiven Jahreszins ausrechnen? Verstehen Sie das Medizinlatein?“, fragte Renate Künast gestern demonstrativ die Journalisten in der Bundespressekonferenz. „Ich nicht.“ Weil die vielen Konsumentscheidungen immer kniffliger werden, stellte die grüne Ministerin einen „Aktionsplan Verbraucherschutz“ vor, der den Verbrauchern mehr Rechtsschutz, mehr Informationen und mehr Schutz vor Schäden an Gesundheit und Vermögen bieten soll.

Der Aktionsplan, den das Bundeskabinett gestern auf Künasts Vorschlag verabschiedete, nennt auf 41 Seiten eine ganze Reihe von Initiativen und Gesetzentwürfen. Kernpunkte sind ein neuer Anlauf mit dem Verbraucherinformationsgesetz, mehr Schutz vor unlauterem Wettbewerb und eine Reihe neuer Gütesiegel auf Fisch und umweltfreundliche Produkte. Viele Projekte sind noch in der Entwicklungsphase. „Wir setzten uns damit selbst unter Handlungszwang“, erklärte Künast.

Beim Verbraucherinformationsgesetz geht es darum, dem Konsumenten den Zugriff auf das Wissen von Behörden über möglicherweise gefährliche Produkte zu sichern. Auch will die Ministerin den Behörden ermöglichen, vor solchen Produkten bereits bei einem begründeten Anfangsverdacht zu warnen. Mit diesem Ansatz war die Ministerin schon in der vergangenen Legislaturperiode an den unionsgeführten Ländern im Bundesrat gescheitert. Künast gab sich allerdings optimistisch, beim zweiten Anlauf mehr Erfolg zu haben. Die erste Ablehnung der Union habe vor allem wahltaktische Gründe gehabt.

Während sich die Ministerin bislang vor allem um die Lebensmittelsicherheit bemüht hat, richtet sich ihr Augenmerk jetzt mehr auf andere Produkte und Dienstleistungen. So soll ein Institut für Produktsicherheit entstehen, das auch die Sicherheit von Lippenstiften, Windeln, Tabak und Bauklötzen überprüft. Der Einsatz vieler Hilfsmittel, wie Färbebeschleunigern in Pullovern oder Duftstoffen in Waschmitteln, soll künftig strenger geregelt werden.

Künast will zudem dem Missbrauch der 01 90er-Nummern – etwa durch Einführung von „Entgeltobergrenzen“ – beikommen, den Wechsel des Stromanbieters durch freiwillige Vereinbarungen mit der Wirtschaft vereinfachen und vor Nepp bei Lebensversicherungen durch gesetzlich geregelte Überschussbeteiligungen und Rückkaufswerte der Policen schützen. Vorstände und Aufsichtsräte von Kapitalanlagefirmen sollen stärker persönlich für Verluste haftbar sein, um Kleinsparer zu schützen. Häuslebauer sollen besser vor Pleiten der beauftragten Bauunternehmer abgesichert werden.

Beim Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb geht es vor allem um den Schutz vor Pseudoschnäppchen. Noch immer locken Unternehmen die Kunden mit Billigangeboten, die im Laden schon nach kurzer Zeit nicht mehr vorrätig sind – Hauptsache, der Kunde ist erst mal da.

Auch gegenüber der Bahn will sich die Ministerin für fairere Bedingungen einsetzen. Dabei ist sie aber nach eigenen Angaben über den „ersten Schritt“ noch nicht hinaus: einem Abendessen mit Bahnchef Mehdorn – immerhin in „guter“ Atmosphäre.

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) reagierte gestern zurückhaltend auf den „Aktionsplan“. Zwar begrüßt der Verband die Bemühungen. Insgesamt handele es sich aber um ein „Klein-Klein“, sagte Verbandsreferent Otmar Lell der taz. „Es ist wenig an strukturellen Reformen und keine Linie erkennbar.“ MATTHIAS URBACH