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Archiv-Artikel

Urlaubsland alte Heimat

Was das Urlaubsverhalten anbetrifft, sind die Deutschtürken integriert: Nicht mehr der Besuch bei der Familie in der Türkei steht wie zu Beginn der Migration an erster Stelle, sondern das günstige Pauschalarrangement in Antalya und anderswo

VON CHRISTOPHER VOGEL

Die Türkei ist das beliebteste außereuropäische Reiseziel der Deutschen. Und wohin fahren die DeutschtürkInnen in den Urlaub? Dass sie in die Türkei fahren, um ihre Heimat zu besuchen, galt sicher bis Anfang der 90er-Jahre. Doch in den letzten Jahren hat ein schleichender Wandel eingesetzt. Nach 40 Jahren Einwanderungsgeschichte hat sich nicht nur der Kontakt zur Heimat verändert, sondern die Türkei ist gerade bei jungen Menschen nicht mehr das jährliche obligatorische Reiseziel.

Bis in die 80er-Jahre hinein bot sich jedes Jahr im Sommer auf deutschen Autobahnen das gleiche Bild: Voll gepackte Familienwagen und Transporter machten sich auf den Weg in die Türkei, um die schönsten Wochen des Jahres in der Türkei zu verbringen. Man besuchte die Familie und ehemalige Nachbarn und bescherte sie mit allerlei Gastgeschenken, bestehend aus allerlei nützlichen und in der Türkei nur schwer zu erhaltenden Gebrauchsgegenständen. Noch 1980 wollten zwei Drittel aller türkischen MigrantInnen Deutschland wieder verlassen. Der jährliche Urlaub diente somit nicht nur der Kontaktpflege, sondern war gleichzeitig ein Vorgriff auf den späteren dauerhaften Rückzug. Doch die meisten MigrantInnen sind in Deutschland geblieben. Viele entschieden sich für eine „halbe“ Rückkehr: Frühjahr und Sommer in Deutschland, danach ein halbes Jahr Türkei im eigenen Häuschen, wie das hunderttausende deutsche RentnerInnen an Spaniens Küste praktizieren.

So ist es nicht verwunderlich, wenn sich der Aufenthalt von Familien inzwischen nicht nur auf Besuche bei Familie und Freunden beschränkt. Befördert durch eine Werbekampagne von türkischen Reisebüros in Deutschland und des türkischen Tourismusministeriums, verstärkte sich 1994 ein zuvor nur in Ansätzen zu beobachtender Trend: DeutschtürkInnen besuchten die Türkei auch als PauschaltouristInnen. Zusätzlich machte der Preisverfall in der Tourismusbranche den Aufenthalt in Hotelanlagen auch für die ganze Familie erschwinglich. Wenn man bedenkt, dass ein durchschnittlicher sechswöchiger Aufenthalt in der Türkei mit etwa 5.000 Euro zu Buche schlägt, verwundert es nicht, dass viele deutschtürkische Touristinnen eine Kombination aus Hotel- und Dorfaufenthalt buchten. So konnte man eine Zeit lang im Hotel entspannen, um dann zusätzlich die Familie zu besuchen, und das zu denselben Kosten. Einmal auf den Geschmack gekommen, wurden zunehmend auch andere Reiseziele attraktiv.

Ende der Neunzigerjahre buchten Deutschtürkinnen zunehmend All-inclusive-Angebote in der Dominikanischen Republik, auf Kuba und in Tunesien. Angesichts der gegenwärtigen Krise des Ferntourismus sind hier die Zahlen wieder rückläufig, doch geht man davon aus, dass sich das Reiseverhalten von Deutschen und DeutschtürkInnen zunehmend annähert. Gerade junge Menschen empfinden die ständigen Türkei-Urlaube als langweilig und wollen lieber zu „Fun-orientierten“ Zielen wie Mallorca oder Ibiza. Schon 1993 verbrachten etwa 100.000 türkischstämmige Jugendliche ihren Urlaub nicht in der Türkei; inzwischen dürfte die Zahl noch erheblich gestiegen sein. Interessanterweise haben aber auch die Türkei-Aufenthalte junger Menschen eine Rückwirkung auf ihr ständiges Zuhause. In deutschen Großstädten eröffnen immer mehr Clubs und Kneipen, die sich auf die Türkei-Aufenthalte ihrer Kundschaft beziehen, genauer gesagt, an Läden in Istanbuls Amüsiervierteln. Dabei handelt es sich mitnichten um ethnisch besetzte Kopien aus dem Urlaubsland Türkei, sondern vielmehr um Orte, die schon in der Türkei Offenheit gegenüber Differenz, und Vielfalt symbolisieren. Es sind somit urbane Räume, die sich im Zuge der Globalisierung in allen Metropolen der Welt ausbreiten, nicht zuletzt aufgrund des immer weiterwachsenden Tourismus.