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Archiv-Artikel

Reden, bis die Opposition verschwunden ist

Gerhard Schröder unterwegs im Kommunalwahlland. In Bocholt ließ sich der Kanzler von der SPD-Basis feiern, attackierte die chaotische Bundespräsidentensuche der Opposition und ignorierte die anwesenden Regierungsgegner

BOCHOLT taz ■ Die vereinigte Opposition gegen Rot-Grün verfolgt den Bundeskanzler bis in die tiefste Provinz. Als Gerhard Schröder am Freitagabend im westfälischen Bocholt zur sozialdemokratischen Parteibasis sprechen wollte, demonstrierten vor dem Veranstaltungslokal knapp 100 Regierungsgegner. Die Junge Union, attac, die Friseursinnung West-Münsterland, ein paar Nazis und drei Punks brüllten den per Hubschrauber eingeflogenen Kanzler an, der die „Arschloch“- und „Schröder muss weg“-Rufe ignorierte und eilig ins Gebäude verschwand.

Drinnen im Saal wurde Schröder dagegen auf Händen getragen. 500 SPD-Fans aus dem Kreis Borken empfingen den Kanzler fast euphorisch. In der 70.000-Einwohner-Stadt Bocholt – einer seit dem Krieg von der CDU dominierten Kommune – erhofften sich die Genossen durch den Kanzlerbesuch Schwung für den beginnenden Kommunalwahlkampf. Der örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Kemper, zugleich Chef der mächtigen NRW-SPD-Landesgruppe in Berlin, begrüßte Schröder süffisant als „Noch-Parteivorsitzenden“. Der Kanzler nahm es ihm nicht übel, gehört Kemper doch zu den loyalsten Anhängern der umstrittenen Regierungspolitik.

In seiner rund halbstündigen Rede versuchte der Kanzler noch einmal zu erklären, warum die Agenda 2010 im Grunde gerecht sei. „Man darf Gerechtigkeit nicht nur in einer Generation organisieren“, ermahnte Schröder die nun sparsamer applaudierenden Genossen und führte den Begriff der “3-Generationen-Gerechtigkeit“ in die Debatte ein. Die Reformen bei Rente, Arbeitsmarkt und Gesundheit müssten sein, so Schröder, um auch zukünftigen Generationen einen finanzierbaren Sozialstaat und eine wettbewerbsfähige Wirtschaft zu hinterlassen.

“Wir haben Probleme, das wollen wir gar nicht verdrängen“, spielte Schröder auf die Wahlniederlagenserie der SPD an. Beschwörend rief der Kanzler die Anwesenden auf, nicht aufzugeben oder aus der Partei auszutreten. „Ich selbst werde für die Agenda 2010 kämpfen, solange es geht“, schrie Schröder: „Und es muss gehen.“ Den meisten Applaus erntete der hohe Gast, als er sein Verhalten vor dem Irakkrieg nacherzählte. Schon wegen der Außenpolitik lohne es sich, gegen einen Machtverlust von Rot-Grün zu kämpfen. „Wenn die anderen regiert hätten, stünden heute deutsche Soldaten im Irak“, sicherte sich Schröder lange Beifallsstürme der Genossen.

Überhaupt, die Opposition: Genüsslich spießte der Regierungschef die chaotische Suche von Union und FDP nach einem Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten auf. Nichts als „Gewürge und Gezerre“ hätten Merkel, Stoiber und Westerwelle abgeliefert. „Wenn ich mir vorstelle, diese Leute hätten mit ähnlichen Verfahren über Fragen von Krieg und Frieden zu entscheiden, graut es mir.“

Bei der anschließenden Fragerunde stellte ein Hauptschullehrer den Kanzler zur Rede: „Was macht Ihr gegen die Lehrstellen-Katastrophe?“ Schröder erinnerte zunächst an die eigene Vita, seinen Berufseinstieg als Verkäufer und versicherte dem Pädagogen dann: „Wenn die Wirtschaft ihren Pflichten nicht nachkommt, machen wir die Ausbildungsplatzumlage.“ Zur Verabschiedung schenkten die Genossen dem Kanzler eine Holzbüste aus Torfeiche. Schröder tätschelte das Artefakt und versprach, sich dem unverwüstlichen Naturstoff würdig zu erweisen. Im Wahlkampf wolle er noch oft nach NRW kommen: „Wenn man mich will.“ Als Schröder ging, war die Opposition vor der Tür verschwunden.

MARTIN TEIGELER