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Archiv-Artikel

press-schlag Mitten hinein in den europäischen Sündenpfuhl

Nach dem fußballerischen Abstieg in Europa wird die Bundesliga nun auch zunehmend vom moralischen Verfall erfasst

Ach, vor Weihnachten war doch irgendwie alles noch in Ordnung. Gut, da haben wir auch gemeckert, denn so sind die Deutschen nun mal, aber im Großen und Ganzen konnte man zufrieden sein. Wir waren zwar nicht mehr die Besten – außer unserem Torwart, natürlich –, dafür aber eindeutig die Guten.

Ein Blick auf den Sündenpfuhl Europa reichte als Beweis aus. In England, also dem Land, wo Fußballer entweder betrunken Auto fahren oder wegen Vergewaltigung angeklagt sind, hatte es Leeds United geschafft, binnen weniger Jahre 130 Millionen Euro Schulden anzuhäufen. Und in der Liga lag der FC Southampton mit der Hertha-ähnlichen Quote von 15 Toren aus 16 Spielen auf einem Uefa-Cup-Platz, konnte die drei führenden Teams aber trotzdem nicht einmal mit Hilfe des Hubble-Teleskops orten.

Oder nehmen wir das Land, wo die Spieler ihr Geld nie pünktlich bekommen, obwohl sie jeden Cent für ihren Nandrolon-Dealer brauchen. Dort, also in Italien, war der AC Parma komplett pleite, und Tabellenführer AS Rom, ebenfalls bankrott, hatte die Bilanz von einem Gegentor pro Monat aufzuweisen. Aber dass andere nicht mit Geld umgehen können, dass wussten wir ja, seit Uli Hoeneß vor einem Jahrzehnt angefangen hat, den unmittelbar bevorstehenden Kollaps des italienischen, englischen und spanischen Systems zu prophezeien. Und dass die Bundesliga das wahre „Premium-Produkt“ ist, das hatte man uns während der Diskussion über die Fernsehrechte wiederholt versichert.

Ganz offenbar nicht zu Unrecht: Im Dezember lagen vier Vereine praktisch gleichauf an der Spitze, darunter treudeutsche Sparklubs wie Bremen und Stuttgart. Jedes Spiel schien zur Pause 0:2 zu stehen, um noch mit einem dramatischen 2:2 zu enden (bei Hannoveraner Beteiligung gar 3:3). Tja, und dann ging es los. Borussia Dortmund geriet in Schlagzeilen, die verhältnismäßig klein gehalten werden mussten, damit auf der Titelseite Platz für all die Nullen war, die man für ein Millionendefizit eben braucht. Bremen und Bayern enteilten dem Rest der Liga, obwohl Letztere sich sorgen mussten, weil unser einziger Weltklassespieler plötzlich öfter etwas fallen ließ als eine professionelle Strickerin. Als nächstes brachen sich früher untadelige Kicker gegenseitig die Nasenbeine. Zu schlechter Letzt fielen in der Rückrunde nur noch 2,4 Tore pro Spiel.

Kann es noch schlimmer kommen? Aber sicher doch. Am Samstag drängten sich 150 Hannover-Fans um den fast gefeuerten Trainer Ralf Rangnick. Mit waidwundem Blick jammerte einer von ihnen: „Ey, wir haben keinen Bock auf Friedhelm Funkel!“

ULRICH HESSE-LICHTENBERGER